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Zeugen einer Provinzposse

Wir werden in Neuenhagen Zeugen einer Provinzposse, wie sie sich nur im Schatten einer großen Koalition auf Bundesebene ereignen kann, für die der kleinste innenpolitische Nenner noch zu groß ist. Immerhin hat man jetzt ins Auge gefasst dafür zu sorgen, dass die übergewichtigen Deutschen dünner und damit gerüchteweise auch gesünder werden. Die Mittel der Wahl? Mögliche Steuererhöhungen auf Süßwaren, teure Werbekampagnen und natürlich kollektives Vorturnen von Kabinettsmitgliedern. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt joggt bereits medienwirksam durch den Müritz-Nationalpark. Ob sich Umweltminister Gabriel wohl von Herzen für diese Aktion begeistern kann? Egal.

Mögen die Deutschen auch abnehmen, die Spannungen innerhalb der großen Koalition nehmen zu. Die Dinge entwickeln sich nämlich seit geraumer Zeit nicht mehr so recht nach den Vorstellungen der SPD, ihre Popularitätswerte bleiben immer deutlicher hinten denen der auch nicht eben hoch geschätzten CDU zurück. Das Problem hat viele Ursachen, aber nur einen konkreten Namen: Kurt Beck.

Der ist dazu auserkoren, vornehmlich von sich selbst, 2009 Angela Merkel als Kanzlerin abzulösen. Pardon, als Kanzler natürlich. Leider traut ihm das nur niemand zu. Nicht die Bürger, und auch nicht seine Parteifreunde. Und was noch schlimmer ist: Die SPD-Mitglieder, deren verordneter Hoffnungsträger er ist, attestieren der blassen Amtsinhaberin mehr politische Kompetenz als ihrem eigenen Parteivorsitzenden. Zudem ist da auch noch Familienministerin Ursula von der Leyen, die das „Wickelvolontariat“ über uns gebracht hat. Selbst sie wird unter den Koalitionsspitzen vom Volk mehr geschätzt als Franz Müntefering und Kurt Beck zusammen. Vielleicht, so munkeln Spötter aus den eigenen Reihen, sollte Beck seinen Rufnamen in „Knut“ ändern.

Bei solchen Voraussetzungen kommt nicht gerade gute Stimmung unter den etwas anderen Genossen auf, also lassen sie vorsorglich ihren Wadenbeißer von der Leine: Peter Struck, seines Zeichens ehemaliger Verteidigungsminister und jetziger Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Der zieht mächtig gegen die Familienministerin vom Leder: Sie schütte das Füllhorn staatlicher Vergünstigungen über deutsche Eltern aus, ohne zu wissen, wo das zu verteilende Geld eigentlich herkommen soll, so Struck in einem Interview im „Spiegel“ vom 30.04.07. Fairerweise muss man eingestehen, dass er nicht ganz Unrecht hat. Die Beschaffung der von von der Leyen als „demografische Rendite“ bezeichneten Summe von rund 3,8 Milliarden Euro, die der von ihr groß angekündigte Ausbau der Krippenplätze verschlingen dürfte, überlässt die siebenfache Mutter desinteressiert Finanzminister Peer Steinbrück. Dieser ist entsprechend ungehalten.

Und was tut der SPD-Ortsverein Neuenhagen? Er sammelt Unterschriften für ein kostenloses 1. Kitajahr. Dabei ist den Akteuren sehr wohl bewusst, dass die alleinige Adresse für derartige Anliegen die Landsregierung um Ministerpräsident Platzeck ist, welche Anträge unserer Landtagsfraktion in gleicher Sache als „Populismus“ abschmetterte. Es wäre mithin besser, sich mit gleicher Vehemenz derselben Thematik, jedoch in tatsächlich gemeindlicher Verantwortung zu widmen. Vor Ort besteht wahrlich reichlicher Handlungsbedarf und auch Bedarf an Mitteln. Das letzte Vorschuljahr, die Zukunft der Schule am Schwanenteich und der dringende Bedarf eines Grundschulneubaus seien exemplarisch genannt.

Doch Opportunismus ist spätestens seit Gerhard Schröder ein Markenzeichen der SPD – auf allen Ebenen. Immerhin: Der Jurist aus Mossenberg-Wöhren (Ho Mir Ma Ne Flasche Bier) hätte vielleicht keine Tornados für die militärischen Planspiele der Amerikaner in Afghanistan auf den Weg geschickt, deren Einsatzkosten inzwischen leicht das Jahresbudget einer bundesweiten Rundumversorgung mit kostenlosem 1. Kitajahr und betreutem letztem Vorschuljahr ermöglichen könnten.

Doch während sich Frau Merkel im Kanzleramt verbarrikadiert und so die Unbeweglichkeit ihrer Partei regelrecht vor den Augen der Nation zementiert, besteht für die SPD eine immerhin theoretische Chance auf Erneuerung. Wenn auch nicht sofort.

Das neu besetzte SPD-Präsidium verzichtet auf ein ostdeutsches Mitglied, wie Generalsekretär Heil „N24“ mitteilte, zugunsten von „Kompetenz und Erfahrung“. Mit Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Kurt Beck wird das neue, junge und von Hause aus dem linken Parteiflügel angehörende Präsidiumsmitglied Andrea Nahles von Erfahrung also geradezu umzingelt sein.  Hoffentlich gelingt es ihr dennoch, die geballte Ansammlung von Kompetenz auch um ihre Ideen zu bereichern. Die ehemalige Juso-Chefin hat bereits verdeutlicht, dass sie keine Ressentiments gegenüber der LINKEN hegt. So eröffnet sich für die Sozialdemokraten mittelfristig die Möglichkeit, sich einer sozialen, friedlichen und menschlichen Politik anzuschließen. Wir sollten ihnen diese Chance geben. Ideengeber für ihre Vordenker sind wir ohnehin schon lange.

Um es  mit Ottmar Schreiner zu sagen: „Die SPD muss wieder die Partei der sozialen Gerechtigkeit werden.“ Dazu empfiehlt er auch eine Öffnung, hin zur LINKEN (Berliner Zeitung vom 21.05.2007).


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf