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Sven Kindervater

Tag der offenen Tür der Oberschule Neuenhagen

Herr Böhme (links) und Herr Blumentritt (rechts) im Gespräch mit Gästen,

Alljährlich lädt der Internationale Bund zu seinem "Tag der offenen Schultür". Dieses Jahr konnte man endlich die neue Heimstätte in der Ziegelstraße vorzeigen. Von einem eindrucksvollen Tag berichtet Sven Kindervater

Alljährlich lädt der Internationale Bund zu seinem "Tag der offenen Schultür". Dieses Jahr konnte man endlich die neue Heimstätte in der Ziegelstraße vorzeigen. Von einem eindrucksvollen Tag berichtet Sven Kindervater.

 

Bitte stellen Sie sicher, dass Sie sitzen. Das folgende mag jetzt vollkommen wie vom Himmel fallen und Sie durchaus kalt erwischen:

Neuenhagen hat eine Oberschule. Also so richtig. Mit einem ganz-normalen-Zehnte-Klasse-Abschluss, wie an jeder anderen Schule in Brandenburg. Mit echten Lehrern. Mit den original Fächern, wie im Rahmenlehrplan vorgesehen. Mit Räumen und handelsüblichen Tischen und Stühlen. Und sogar Schüler soll man schon gesehen haben. Ok, genug Sarkasmus.

 

Ein schlechter Ruf

Die Forderung nach einer Oberschule von Neuenhagen hält sich hartnäckig, seitdem man den Standort am Schäferplatz aufgegeben hatte. Dass der Internationale Bund (IB) aus eigenen Mitteln eine neue Oberschule am selben Standort errichtete, änderte daran nicht viel. Zunächst lag das an einem Beinahmen, der auf eine Orientierung auf die Berufsausbildung abzielte. Das erweckte zwar den Eindruck von praxisnähe, aber die Liebe zum Allgemein-Abschluss der Deutschen konnte das nicht brechen. Und so waren es neben den monatlichen Gebühren im zweistelligen Bereich vor allem die Angst, beim IB käme einiges zu kurz – was womöglich später wichtig werden würde.

Wenn Menschen etwas partout nicht wollen, sind Gerüchte und Verdrehungen nicht weit. So hielt sich das Gerücht, es sei keine richtige Oberschule, selbst darüber hinaus, als man die Institution schlichtweg in „Oberschule Neuenhagen“ umbenannte -  der zentrale Zehnte-Klasse-Abschluss war da schon längst gängige Praxis. Auch wurden die Schüler selbst schlecht geredet. Sie seien die, welche es auf keiner anderen Schule mehr schaffen würden, seien ganz schlimme, mit denen wolle man seine Kinder nicht zusammentun. Was man sich so auf der Straße erzählte, muss um ein Vielfaches schlimmer als Rütli sein. Dabei ging es um gerade mal etwas weniger als 80 Schüler. Schüler, die fast alle einen Ausbildungsplatz innerhalb des ersten Jahres nach dem 10. Klasse-Abschluss vorweisen konnten und deren 2015er-Jahrgang mehrheitlich nun sogar das Abitur anstrebt.

 

Der wirkliche Horror

Ich bin Schlagzeuglehrer an der Mozart-Gemeinschaftsschule in Berlin-Hellersdorf. Allein letzte Woche musste zwei Mal die Polizei anrücken, mit Schutzwesten ging es etwa in einen Raum, wo ein Drittklässler Stühle aus dem Fenster warf. Gewalt ist Alltag, die Waffengattungen mannigfaltig. Wer einen Schüler des Raumes verweist, riskiert den Club der Chaoten auf den Fluren, die sich zusammentun und dann erst richtig austicken. WCs sind permanent verstopft und das von kleineren Grundschülern. Vandalismus ist die Norm. Türen zu den meisten Fluren werden verschlossen und können nur von Innen geöffnet werden, weil Lehrer (berechtigte!) Angst vor Übergriffen und Diebstählen haben, auch von Ex-Schülern aus dem Kiez. Von denen hatten im 2015er Jahrgang ganze zwei Leute einen Ausbildungsplatz gefunden.

Der Krankenstand bei Lehrern ist abnormal hoch, wer kann, der flieht. Die Musikbetonung, der einzige Anker für viele Schüler, steht auf dem Abschusszettel, weil sich das Kollegium gegenseitig anfeindet. Zurück bleiben viele Jünger direkt vom Lehramtsstudium, die gnadenlos eingehen, sich nicht durchsetzen können und auf die späteren Unterrichtsstunden hoffen, weil nach der vierten Stunde ohnehin die Hälfte schon wieder abgehauen ist. Zu Elternabenden kommen die Wenigsten, ein Interesse am Kind ist nur in Ausnahmefällen zu erkennen. Ich kenne die Hölle. Das Versagen der staatlichen Schulen braucht keine Mythen, sie sind real.

 

Neuanfang in der Ziegelstraße

Was ich noch nicht kannte, war die Oberschule Neuenhagen des IB. Nach einem halben Jahr Verzögerung werden nun endlich die neuen Räume in der Ziegelstraße bezogen, der Zentrale des IBs in unserer Region. Ein Campus aus Berufsschule und Oberschule wächst nun zusammen. „Wenn man erstmal ein altes Gebäude anfässt…“, schmunzelte die Chefin Frau Schreier etwas, bezogen natürlich auf den Verzug der Baumaßnahmen. Über eine Million Euro hat der IB investiert, etwa 200.000€ gabs als Zuschuss seitens der Gemeinde (obwohl ursprünglich von 400.000€ gesprochen wurde). Wenn dann im Februar auch das letzte Paket seinen langen Weg gefunden hat, wird es in jedem Raum modernste Technik geben, inkl. Whiteboards. Die Räume sind hell und das Gebäude mutet familiär an. Auch am Hof wird noch gewerkelt, aber hier wurde gemeinsam mit den Schülern viel zum Erholen und Austoben erdacht. Steht man am Eingang, erreicht man innerhalb von zehn Metern die Sporthalle und die Mensa.

Auch für den IB beginnt eine neue Ära. Mit Herrn Böhme bekommen Berufs- und Oberschule einen neuen, gemeinsamen Leiter. Für die Oberschule wird künftig sein Stellvertreter Herrn Blumentritt zuständig sein. Er führte mich durch die Räume und sprach offen über den Alltag. Etwa darüber, wie man mit dem Handy umgeht und nun erreicht hat, dass nur noch einzelne glauben, es auch im Unterricht nutzen zu müssen. Wie sie aber auch zuvor feststellten, dass die meisten mit ihren Eltern kommunizierten und das Entgegenkommen, es in den Pausen zu erlauben, sehr dankbar von den Schülern aufgenommen wurde.

 

Ein einzigartiger Campus

Dieses Miteinander deutet sich an vielen Stellen an, sodass er – wenn überhaupt – die siebente Klasse noch als Herausforderung beschreibt. Das liegt auch daran, dass die Kollegen an einem Strang ziehen. So wirkt nicht zuletzt das Lehrerzimmer eher wie ein berliner Großraumbüro, wo der Austausch sich unweigerlich ergibt. Hier zieht sich keiner in sein Kabuff zurück und will es auch gar nicht. Und auch viele Schüler lassen einen Gemeinsinn erkennen und fangen an, sich mit dem neuen Gebäude zu identifizieren. Selbst wenn diese an einem Samstagmorgen sicher andere Prioritäten gehabt hätten, empfingen Sie die Gäste motiviert und beantworten viele Fragen.

So hinterlässt mein Besuch den Gesamteindruck einer ganz normalen Oberschule mit ganz normalen Schülern und Lehrern, mit ihren ganz normalen Problemen. Insgesamt entwickelt sich hier ein ganz besonderer Bildungsort, der nun auch gerüstet ist, sich in den kommenden Jahren zu verdoppeln und fortan zwei siebente Klassen aufnehmen wird. Die direkte Nähe zur Berufsausbildung und die vielen Möglichkeiten im Nachmittagbereich ergänzen hier obendrein wertvoll. Ich denke sogar, der Vorschlag einer Verwaltungsmitarbeiterin, die Blaupause auf das Gelände umziehen zu lassen (bei Kostenübernahme der Verwaltung), hat immer mehr Charme.

 

Einen besseren Ruf verdient

Ja, es bleibt eine private Schule, die ihren Lehrern etwas weniger zahlt als bei den staatlichen Einrichtungen und Gebühren in Höhe von derzeit 75€ im Monat nimmt. Als Linker finde ich es schade, dass ich so ein Niveau nicht an jeder staatlichen Schule finde und man die Lehrkräfte nicht besser entlohnt. Mich stört auch, dass hier vor allem der Mittelstand belastet wird. Wer wirklich sozial-benachteiligt ist, der kann Unterstützung vom Amt beantragen. Wer wirklich zahlt, sind die, welche zwar 75€ im Monat haben, aber diese bestimmt auch nicht im Überfluss oder um diese durch Wertpapiere oder Immobilien „für sie arbeiten“ zu lassen. Aber das ist ein Problem einer anderen politischen Ebene*. Dem IB kann man hier nichts vorwerfen, weil er mit seinen Mitteln offenkundig sein Bestes tut und aus meiner Sicht ideale Bedingungen anbietet. Ich bin der Meinung, man kann sein Kind hier sehr ruhigen Gewissens auf die Schule schicken und die Schule hat im ganzen Ort einen besseren Umgang verdient.

 

*Der Kreistag kann sich so etwas offenkundig in unserer Region nicht leisten. Wie Neuenhagen gleicht er seinen Haushalt in diesem Jahr nur durch Rückgriffe aus der Rücklage aus. Wenn wir also mehr staatliches Engagement wollen, bräuchte dies die Debatte nach mehr finanziellen Mitteln. Was das Land Brandenburg, den Kreistag MOL und die Gemeindevertretung Neuenhagen angeht, fallen mir auch keine nennenswerten Posten ein, bei denen ich kürzen würde. Somit erübrigt sich eine Debatte um „unnötige“ Ausgaben. Es ist vielmehr eine Frage, was uns das Allgemeinwohl wert ist und wer vor allem in den letzten Jahrzehnten immer seltener zur Kasse gebeten wurde, während die meisten eher immer weniger im Portemonnaie hatten. Das ist zugegeben, ein völlig anderes Thema, aber man kommt bei einem Artikel über eine private Schule nicht daran vorbei.


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf