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Sven Kindervater

Spiel mit dem Glück in der alten Post?

Dank des Engagements des Bürgervereins Neuenhagener Zentrum wissen wir, dass es derzeit einen Antrag gibt, in der alten Post eine Spielhalle zu eröffnen. Warum wir bezüglich einer Spielhalle dagegen und dennoch hellhörig sein sollten, schreibt Sven Kindervater.

Dank des Engagements des Bürgervereins Neuenhagener Zentrum wissen wir, dass es derzeit einen Antrag gibt, in der alten Post eine Spielhalle zu eröffnen. Warum wir bezüglich einer Spielhalle dagegen und dennoch hellhörig sein sollten, schreibt Sven Kindervater.

 

Eigentlich ist die Sache immer ziemlich schnell klar: Eine Spielhalle bei uns im Ort – nein danke! Auf ihnen lastet der Ruf, laut zu sein und das bis spät in die Nacht. Ihre Leuchtreklame lässt angrenzende Schlafzimmer nicht mehr dunkel werden. Die häufig komplett verklebten Fensterscheiben deuten zu Verbergendes an. Nicht zuletzt wird vermutet, Spielhallen zögen ein Publikum an, an dessen Existenz die Gesellschaft ungern erinnert werden will.

 

Doppelmoral

Trotzdem scheinen sie derzeit wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Nachdem man lange keinen neuen Mieter für das Gebäude der alten Post in der Ernst-Thälmann-Straße fand, war es nun auch in diesem Fall ein Unternehmer, welcher an eben jener Stelle eine Spielhalle eröffnen will. Ein entsprechender Antrag liegt mittlerweile beim Kreis zur Bearbeitung. Erleben wir also mal wieder einen Fall von kollektiver Schizophrenie – jeder macht es, aber keiner will dazu stehen? In jedem Imbiss gibt es Spielautomaten, in jedem Kiosk kann man Lotto spielen und das Internet ist voll mit Werbung für Poker-Portale. Sind Spielhallen nicht einfach unlängst Teil unseres Alltags? Das Freudenhaus des Geldes, die Börse für den kleinen Mann? Sollten wir also einfach nur ehrlich sein und nicht dem im Wege stehen, was offenkundig immer mehr tun?

Nein. Natürlich sind die zu erwartende Lärmbelästigung und Lichtverschmutzung allein ausreichend, um den Anwohner ein solches Ambiente zu ersparen. Aber das wäre ein Argumentieren an Symptomen. Schnell könnte man kontern: Wenn aus Neuenhagen mal was werden soll, müsse man akzeptieren, dass sich sein Zentrum auch weiterentwickelt. Außerdem würde Neuenhagen dank seiner Vergnügungssteuersatzung kräftig mitverdienen. Man wäre der ganzen Marktlogik von Angebot und Nachfrage ausgeliefert und übrig bliebe der Eindruck von rückwärtsgewandten Spießbürgern, die dem unaufhaltsamen Wachstum doppelmoralig im Wege stünden.

 

Verzweiflung

Es geht in der Debatte um mehr. Spielhallen sind Ausdruck von Verzweiflung. Das meiste Geld machen solche Einrichtungen eben nicht mit dem Gutverdiener, der sich mal eine Stunde des Vergnügens gönnt. Spielhallen sind häufig genau auf die ausgerichtet, die eh kaum genug zum Überleben haben. Das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Vermögen auf immer weniger Menschen verteilt, Prekariat, stagnierende oder gar fallende Löhne und das Explodieren der Glücksindustrie hängen unmittelbar zusammen. Im Fernsehen heißt es bei Ratespielen nicht mehr „Gewinnen Sie 500€“, sondern „Bekommen Sie 5000€ schon morgen auf ihr Konto“. Wer fühlt sich denn dadurch besonders animiert, wer hat keine Zeit mehr bis übermorgen? Es ist auch kein Zufall, dass das Niveau der Fragen meist lautet: „Sind Quizfragen im Fernsehen doof? A: Ja. B: Gemüse.“

Bei Spielhallen gibt es nur einen Gewinner: Den Betreiber. Und er spielt mit einer einzigen Ware: Der Sucht. Natürlich kann man von vielem abhängig werden, aber kaum ein Gewerbe ist derartig perfide darauf ausgerichtet. Automaten sind so programmiert, die Kunden am Weitermachen zu halten. Karten- und Würfelspiele bedeuten, dass du schon in der nächsten Runde wieder alles rausholen kannst. Die Einsätze sind überall derart niedrig, dass man auch mit kleinstem Einkommen vom großen Geldsegen träumen kann. Und auch die Psychologie wird umgekehrt: Nicht die Masse an Niederlagen lässt zweifeln, es ist vielmehr dieser eine Gewinn, den man wiederholen will. Das Prinzip Hoffnung wurde selten unverfrorener zur kompletten Ausbeutung verkehrt.

 

Verantwortung

Es verbleibt die Frage im Raum, ob man dem einen Anreiz schaffen will. Es ist eben nicht so, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Rousseau sagte einmal: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es das Gesetz, was befreit und die Freiheit, die einschränkt.“ Wir haben hier eine kollektive Verantwortung, was wir in unserer Gemeinde zulassen wollen und was nicht. Per Gesetz haben Kommune und Kreis die Planungshoheit. Neuenhagen allein kann das Sinken von Löhnen und die Tendenz zum Drittjob nicht umkehren, aber es kann zumindest darüber entscheiden, ob aus der Hilflosigkeit mancher seiner Einwohner auch noch Kapital geschlagen werden soll. Nicht zuletzt wäre es nämlich auch dann mal wieder die Gesellschaft, welche bei Privatinsolvenzen eingreifen müsste. Auch hier würden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.

 

Zynisch

Die Spielhalle ist aber auch Ausdruck einer weiteren Verzweiflung: Es ist schon sehr traurig, dass sich niemand sonst für die Immobilie interessiert hat. Der lange Leerstand wäre sicher nicht gekommen, wenn es eine Warteschlange mit Interessenten voller unterschiedlicher Ideen gegeben hätte. Es gibt Gründe, dass aus einem, zugegeben recht teuren, Meyer-Beck ein KiK wurde. Es gibt Gründe, dass unser Einzelhandel immer mehr zu kämpfen hat. Und das liegt eben nicht nur an Mietpreisen und fehlenden Räumen. Es liegt auch am sich verändernden Kaufverhalten. Wenn wir immer mehr sparen wollen, müssen wir begreifen, dass das nur geht, indem wir uns unseren Einzelhandel sparen.

Es wäre aber auch zynisch, von Geringverdienern zu verlangen, sie sollen doch endlich mal örtliche Produkte und Bioqualität kaufen. Es wäre ebenso zynisch, dem sich permanent zwischen Projektarbeit und Workout Befindenden vorzuwerfen, er solle doch seine Bequemlichkeit aufgeben. Das Arbeiten für immer weniger für immer länger bedeutet eben auch, dass das zahlungskräftige Schlendern durch eine örtliche Einkaufsstraße zum Luxus wird.

 

Gesellschaftsdebatte

Es ist gut, dass sich das Rathaus gegen die Spielhalle ausgesprochen hat. Es ist dringend notwendig, dass der Kreis dies nun auch tut. Wir sollten uns aber eben auch einmal die Zeit nehmen und darüber nachdenken, was dieser Antrag auf eine Spielhalle bedeutet. Die Politik im Ort kann nicht alles verhindern und sie kann sich auch nicht allen Entwicklungen entgegenstellen. Neuenhagen ist kein gallisches Dorf, wir sind eingebettet in eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, dessen Regeln wir nur bedingt beeinflussen können. Jedem sollte bewusst sein, dass es einen Punkt gibt, wo wir eine grundsätzlichere Debatte führen sollten.


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf