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Sven Kindervater

#Sonntagsgedanken: Die Mär von der bezahlten Antifa

Der Vorwurf taucht immer wieder auf: Sind diese ganzen Proteste der Antifa gegen Asylgegner letztlich nur vom Staat finanziert? Ja, sagt unser Autor – aber nicht als Inszenierung, sondern aus Überzeugung. Warum sich die rechte Szene offenkundig nicht mehr anders zu helfen weiß, schreibt Sven Kindervater.

Der Vorwurf taucht immer wieder auf: Sind diese ganzen Proteste der Antifa gegen Asylgegner letztlich nur vom Staat finanziert? Ja, sagt unser Autor – aber nicht als Inszenierung, sondern aus Überzeugung. Warum sich die rechte Szene offenkundig nicht mehr anders zu helfen weiß, schreibt Sven Kindervater.

 

Das Jahr 2015 war auch das Jahr der großen Proteste für und gegen die aktuelle Asylpolitik. Dabei verhielt es sich oft so, dass zunächst eine Veranstaltung der Gegner angemeldet wurde, die dann die Befürworter auf den Plan rief. Wenn also demonstriert wurde, dann blieb kaum eines der Grüppchen allein.

Nun waren gewichtige Teile der Teilnehmenden auf jeder Seite dieses Spiel schon viel länger gewohnt. Gerade in Brandenburg meldeten oft bekannte NPD-Kader oder Kameradschaftler die Anti-Asyl-Demos an, die Gegenaktionen planten oftmals unlängst Aktive aus dem antifaschistischen Spektrum. Nur konnten beide Seiten im Jahr 2015 deutlich sichtbar ins bürgerliche Spektrum wirken. Das hat auch mit einer geänderten Strategie zu tun.

 

Dresden änderte alles

Klassische Nazidemos mit entsprechenden Winkelementen und klarem Bezug zum NS-Regime wurden fast schon traditionell begleitet vom so genannten „schwarzen Block“ der Antifaschisten, welcher oftmals mit enormer Gewaltbereitschaft die Nazis am Marschieren zu verhindern versuchte. Auf der einen Seite lockte der klare NS-Bezug kaum Massen auf die Straßen, aber durch die Gewalt der anderen Seite wurde auch jeder Protest kriminalisiert. So wirkte es, als würden da zwei Randgruppen links und rechts der Demokratie aufeinander einprügeln, die am Ende beide vom Staat beobachtet und bekämpft werden sollten. Die sogenannte „Extremismustheorie“ basiert exakt auf diesem Denken und beherrscht bis heute die Debatte – und übrigens auch die Arbeit der Verfassungsschützer. Doch dieses Konzept war spätestens seit Dresden 2010 eigentlich unlängst überholt.

Die Bombardierung Dresdens im Januar 1945 wurde seit den 90ern von der Naziszene durch Kundgebungen und Demos stets am Jahrestag missbraucht. Schnell wurde der dritte Januar-Samstag im Jahr gar zu Europas größtem Naziaufmarsch, der tausende Neo-Faschisten aus vielen Ländern mobilisieren konnte. Das wäre mit einem Fokus auf Deutschland nicht erreichbar gewesen, sodass es weniger darum ging, mit Dresden ein etwaiges „deutsches Volk“ von seiner Schuld freizusprechen, sondern vielmehr die faschistische Ideologie an sich in die Opferrolle zu bringen. Wer sich etwas in rechte Ideologie hineinliest, findet zu Hauf verweise darauf, dass das NS-Regime stets nur reagierend und verteidigend agiert haben soll. Für diese Art der Geschichtsklitterung ist die Bombardierung Dresdens wie gemacht. Hier die wehrlosen Bürger Dresdens, dort die brutalen Angriffe der britischen Bomber.

 

Die neue Strategie

Nachdem es jedes Jahr einen neuen Rekord auf Seiten der Nazis zu verbuchen gab und die Methoden des schwarzen Blocks ins Leere verliefen, kam es zu einem Bündnis aus Bewegungen, Parteien und Gewerkschaften wie lange Zeit nicht mehr. Sie hatten keine Lust mehr, sich dieses Elend noch weiter mitansehen zu müssen und schmiedeten ganz klassisch eine „Antifaschistische Aktion“. Dieser Begriff, der heute viele Pullis und Sticker schmückt und landläufig als „Antifa“ tituliert wird, stammt eigentlich aus den 1920er Jahren und war ein Bündnis aus zunächst kommunistischen und später aus sozialdemokratischen Organisationen. Die politische Feindschaft der beiden Großen KPD und SPD verhinderten allerdings eine rechtzeitige Entfaltung, um sich der NSDAP wirksam entgegenzustellen. So bekommen Begriff und Symbol auch den Duktus des „diesmal warten wir nicht zu lange“.

Anders als bei den Autonomen des schwarzen Blocks (ein Begriff, der sehr irrtümlich suggeriert, es handle sich um eine feste Struktur), wollte das bürgerliche Spektrum nicht zur Gewalt greifen. Stattdessen setzte man auf Masse und den sogenannten zivilen Ungehorsam. Dieser lässt sich am ehesten mit „Dienst nach Vorschrift“ erklären und soll friedlich aber dennoch entscheidend das Scheitern von Nazi-Kundgebungen bewirken. Das klassische Mittel dabei sind die sogenannten Sitzblockaden. Man setzt sich mitten auf eine Demoroute und harrt dort so lange aus, bis man sich ohne Gegenwehr von der Polizei wegtragen lässt. Ab einer gewissen Anzahl an Sitzenden führt das unweigerlich dazu, dass die staatlichen Behörden kapitulieren. Die Demo ist erfolgreich blockiert.

 

Ein Erfolg, der neue Konzepte forderte

Das führte 2010 zu einem spektakulären Erfolg auf antifaschistischer Seite. Rund um den Auftaktort der Demoroute waren alle Kreuzungen mit tausenden Blockierenden besetzt. Aufgrund der zehntausenden war nicht mal das Sitzen erforderlich, es reichte Stehen. Die Masse kam überhaupt nur deshalb zustande, weil man zahlreich aus dem bürgerlichen Spektrum mobilisieren konnte. Die Aussicht, es ohne Gewalt anzugehen, motivierte weitaus mehr, als man nach der Extremismustheorie vermuten müsste. Erstmals kamen die Nazis gar nicht zum Marschieren, denn sie blieben am Auftaktort und das von Bauzäunen umgeben. Die Veranstalter hatten alle Mühe, ihre Demoteilnehmer im Zaume zu halten. Nach erfolgreichen Wiederholungen 2011 und 2012 konnte die Motivation der rechten Szene endgültig gebrochen werden, was in deren Foren bis heute gut nachgelesen werden kann. Dies zum Vorbild nehmend reagierten auch andere Städte in Deutschland auf Nazikundgebungen und brachen auch diese zu Fall.

Doch mit dem Thema Asyl erfand sich der braune Spuk neu. Die bürgerliche Ansprache hatte die NPD schon etliche Jahre geübt. Mit dem Motto „Todesstrafe für Kinderschänder“, oft in altdeutscher Schrift (auch auf Autos in Neuenhagen zu finden), schaffte man es Anfang der 2000er erstmals Kundgebung abzuhalten, zu der sich auch Bürger gesellten, die sich partout nicht als Nazis verstehen wollen. Mit Konzepten wie „Sozial geht nur National“, dem „Europa der Vaterländer“ und „Naturschutz ist Heimatschutz“ wagte man sich an die Besetzung bürgerlicher Diskurse mit nationalem Anstrich. Statt Massenkundgebungen übernahm man lieber Posten und Funktionen in örtlichen Vereinen und Verbänden, wollte der gute Nachbar sein und betonte maximal, dass es „erstmal“ um Deutsche gehen soll – nicht ausschließlich. Wer wollte, konnte problemlos hinter diese allzu offensichtliche Täuschung blicken. Aber bei keinem anderen Thema wollten das so wenige, wie beim Thema Asyl.

 

Von den Linken geklaut

Da also die Linken ihren Erfolg im Bürgerlichen fanden, versuchte man es erneut mit der Kopie. Nachdem man schon den Style der Skinheads (eigentlich britische Arbeiterbewegung) und der Autonomen (die „Anti-Antifa“) für sich übernahm und es nun auch eine Partei gab, die sich „Die Rechte“ nannte, war auch dieses ursprünglich linke Konzept nun Vorbild. Man wollte also nun friedlich sein, bürgerliche Begriffe nehmen, nur „spazieren gehen“ (nicht mehr demonstrieren oder gar marschieren), zivilen Ungehorsam erproben und jedweden NS-Bezug unterlassen. Selbst die Kleidung ist nun betont bürgerlich, man mobilisiert vor Kitas und Bahnhöfen. Wer offen dafür war, konnte auch erreicht werden, vor allem natürlich Pegida in Dresden wird als großer Erfolg gewertet. Die bekannten Nazis übernehmen dort eher organisatorische Aufgaben im Bereich Sicherheit oder laufen einfach mit und rufen an der richtigen Stelle „Widerstand“ oder applaudieren schon mal, wenn sich Akif Pirinçci darüber aufregt, dass es keine KZs mehr gibt.

Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung“ – zwei Eigenschaften, die man im NS-Regime vergeblich suchte und eher klassische linke Themen sind – nannte sich fortan eine ganz und gar mit NPD-Funktionären und Kameradschaften durchtränkte Bewegung, welche dieser Tage auch schon vermehrt in Strausberg mobilisieren konnte. Gegründet lange vor Pegida, hatte man zunächst nur kleine Erfolge in der Mark und verschwand eigentlich wieder. Mit „Bramm2015“ nun das Comeback, zuletzt etwa in Königs Wusterhausen und Strausberg. Die Akteure sind größtenteils dieselben, nur die Orte wechseln. Motiviert auch durch Aussagen von AfD und CSU treibt es vermehrt dennoch viele Einheimische hinzu. Wenn auch nicht in Größenordnungen gelingt die Kopie der linken Szene, die derweil unentwegt ihr Sitzen und Stehen betreibt.

 

Der verdrehte Irrsinn

Nun verdreht man sich auf rechter Seite ja so allerlei Irrsinn. So soll eine Anzahl an Muslimen im Nachkomma-Bereich das Christentum verdrängen können, wobei bekannt ist, dass sich die Geburtenrate ans deutsche Durchschnittsniveau ab der zweiten Generation angleicht. Oder wenn Straftaten, für die man jahrelang wahlweise, „die“ Jugend, Polen, „Zigeuner“, „Fitschis“, „Yogus“ oder Russen verantwortlich gemacht hat, nun von Asylsuchenden begangen werden sollen – bei immer öfter aufgedeckten Falsch- oder Nicht-Anzeigen. Oder wenn Arbeitsplätze von denen weggenommen werden sollen, die nur faul in der sozialen Hängematte rumlungern. Alles nicht wirklich lustig, aber der Irrsinn scheint Programm.

Aus den bürgerlichen Unterstützern kommt aber nun eine ganz neue Behauptung. Genährt wurde das erst jetzt wieder durch den ehemaligen Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, der einst 1,5 Mio € im „Thüringer Heimatschutz“ über insgesamt 40 V-Männer versenkte, in dem auch das NSU-Trio groß wurde. Er behauptet, Gegendemonstranten von Anti-Asyl-Demos seien "von der "öffentlichen Hand" gefördert. Die Behörden schleppten "dort stadt- oder landesbekannte Gewalttäter hin", um zu demonstrieren. Es handle sich um "staatlich bezahlte, anreisende Kriminelle". Gerade die AfD proklamiert immer, „die“ Antifa würde staatlich finanziert. Ein spannender und entlarvender Vorwurf.

 

Antifa als Erwerbsarbeit

Im Kern behauptet er, dass es sich um Erwerbsarbeit handelt, die „der“ Staat finanzieren würde, wenn es gegen Nazis, AfD und Pegida geht. Ungeachtet der staatsanwältlichen Realität etwa im Sächsischen, wo keine linke Aktion noch zu harmlos ist, um sie nicht erst einmal flächendeckend abzuhören und zu verunglimpfen, um am Ende still und heimlich die Verfahren einzustellen, wird den Demoteilnehmenden suggeriert: Die sind nicht wirklich gegen euch. Ihr seid die Guten. Das dort hinter der Polizeisperre, das sind alles Merkels bezahlte Lakaien, gegen die ihr hier zurecht demonstriert. Die böse Kanzlerin, die böse EU, die bösen Asylsuchenden, die bösen Muslime und die bösen Linken – alles eine einzige, gemeinsame Verschwörung gegen „Wahrheit“ und „Volk“.

So muss sich niemand damit beschäftigen, warum es ernsthaft Menschen dazu bewegt, sich eine Kundgebung oder Demo in den Weg zu stellen (oder zu setzen). Und wo ist die Idee her? Richtig, von den Linken, die seit etwa zehn Jahren den Nazis zurufen „Ohne den Verfassungsschutz wärt ihr nur zu viert“ – eine Anspielung auf die oftmals einflussreiche V-Männer-Struktur. Natürlich gibt es auch schon erste „Belege“ im Netz von Kostenabrechnungen, aber da schon zu Lenins Zeiten Fotos gefälscht wurden, damit man Trotzki nicht mehr neben ihm sieht, sollte das nicht verwundern. Es gibt aber die Argumente, die tatsächlich einen wahren Kern haben – der natürlich verdreht wird.

 

Die staatliche Unterstützung gibt es

Ja, es gibt staatlich finanzierten Antifaschismus. In Brandenburg etwa nennt sich das „Tolerantes Brandenburg“, wird vom Land Brandenburg in Kooperation mit vielen Bündnispartnern und der Bundesregierung finanziert und widmet sich mit Projekten wie etwa „Schule ohne Rassismus“. In einer Zeit, in der in anderen Bundesländern im Osten Deutschlands noch so getan wurde, als gäbe es gar keine Nazis, engagierte sich Brandenburg bereits, nicht zuletzt aufgrund der tiefen Überzeugung der regierenden SPD und ihres zuletzt verstorbenen Fraktionschefs und Netzwerkers Klaus Ness. Viele Experten bescheinigen Brandenburg heute, aufgrund dessen eine wesentlich aktivere und sensibilisierte Zivilgesellschaft zu haben, als die umliegenden Bundesländer. Auch die allermeisten Parteien unterstützen antifaschistische Arbeit, genauso wie Verbände und Gewerkschaften, welche allesamt neben den Mitgliedsbeiträgen auch staatliche Zuwendungen erhalten.

Mal beschränkt man sich auf finanzielle Unterstützung, mal greift man bei der Organisation unter die Arme, mal geht man selbst offen vorweg. Der Irrglaube ist nur, dass es im Kanzleramt oder Finanzministerium irgendwo einen Verantwortlichen gäbe, der das steuert. Es ist eben genau so umgekehrt, wie es viele „besorgte Bürger“ nicht wahrhaben wollen: Es schließen sich aufrichtige Antifaschisten zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Mal mit Mitgliedsbeiträgen, mal mit Spenden aus der Wirtschaft und mal mit Mitteln der Parteien, welche diesen aufgrund von Wahlergebnissen per Gesetz zustehen.

 

Das breite demokratische Spektrum

Dass sie in Brandenburg gegen Rechts schon immer mobilgemacht haben, ist nicht erst seit der Erklärung gegen die AfD im vergangenen Jahr so und schließt schon immer CDU und FDP mit ein. Politische Arbeit kostet auch Geld und wenn es erst einmal Fahrgeld ist oder das Drucken von Flyern. Das Geld ist da, weil sich Menschen gegen Rechts engagieren und Parteien, die klar gegen Rechts sind, entsprechende Wahlergebnisse erhalten. So verpufft der ganze Vorwurf.

Es gibt also nicht die Rechten hier und die Linken da und dazwischen ist die gute Demokratie. Es gibt Faschisten und Antifaschisten. Und letztere sind keine linke Randgruppe, sondern das breite demokratische Spektrum, uneins in vielen demokratischen Auseinandersetzungen, aber vereint und wehrhaft gegen die Feinde der Demokratie. Genau deshalb proklamiert Pegida, die anderen seien gegen die Demokratie, nur so kann man die eigenen Anhänger verführen. Das oftmals Straftäter und bekannte Faschisten hinter den Aktionen stecken, muss dann nicht mehr beachtet werden. Es braucht aber eben keine Extremismustheorie, sondern nur den gesunden Menschenverstand und ein geschlossenes Agieren gegen die, welche Fakten verdrehen, Ängste schüren und vorrangig sozial-benachteiligte Menschen für eine faschistische Ideologie missbrauchen wollen.


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf