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Sven Kindervater

Lollapalooza: Festival der Ohnmacht

Wenn man dieser Tage auf Probleme, Risiken und Bedenken rund um das Festival hinweist, bekommt man nicht selten den Vorwurf an den Kopf geknallt, man sei ein Gegner der guten Laune. Dem ist nicht so. Vielmehr bekommen Gemeinde, Anwohner, Natur den Frust zu spüren, wenn sie auch nur daran denken, kritische Nachfragen zu stellen.

Manche erinnern sich noch: Vor einigen Jahren hat das Linksaktiv in Neuenhagen ein Protestcamp auf dem Platz der Republik organisiert. Damals als politische Aktion von der Polizei genehmigt. Zwei Jahre später wollten wir das wiederholen. Doch die Polizei erklärte sich nicht mehr für zuständig und so oblag es der Gemeinde, uns das Camp zu gestatten.

 

Das Verfahren zog sich und aus dem Rathaus hieß es: Man könne erst kurz vor dem Termin eine Zusage erteilen. Uns blieb nichts anders übrig, als es abzusagen, der Mitarbeiter im Rathaus hat mich glaube ich immer noch gefressen. Wir konnten ohne rechtzeitige Zusage weder Gelder beantragen, noch trauten wir uns, Werbung zu machen oder anderweitig tiefer in die Organisation zu gehen.

 

Nicht so Lollapalooza. Seit vielen Monaten schon wird hier geworben, organisiert – und vor allem Tickets verkauft. Das deutsche Unternehmen FRHUG Festival GmbH & Co. KG, welches quasi einen Franchise-Vertrag mit dem Chicagoer Mutter-Festival hat, geht schon seit Jahren schamlos mit Bürgern, Besuchern und Behörden um.

 

Wenn man dieser Tage auf Probleme, Risiken und Bedenken rund um das Festival hinweist, bekommt man nicht selten den Vorwurf an den Kopf geknallt, man sei ein Gegner der guten Laune. Dem ist nicht so. Die allerwenigsten Menschen in und um Hoppegarten haben grundsätzlich etwas gegen Festivals. Aber es gibt berechtigte Sorgen was Lollapalooza in Hoppegarten angeht.

 

Der Brandenburger Speckgürtel ist nicht die Mecklenburger Seenplatte. Da dieser Tage immer wieder das Wacken-Festival zum Vergleich gezogen wird, ist das mal wichtig zu erwähnen. Wer hier wohnt, hat sich bewusst für eine belebte Region entschieden – genauer gesagt: Eine halbe Stunde davon entfernt.

 

Es geht nicht darum, dass in unserer Einöde „endlich mal was los ist“. Wenn der Märker am Rande Berlins möchte, dass was los ist, nimmt er die S-Bahn oder das Auto und ist in Windeseile an all den Hotspots einer der wichtigsten Metropolen Europas. Aber es ist nicht von ungefähr, dass Hoppegarten und Neuenhagen mit Grundstückspreisen von bis zu 250€/m² zu den teuersten Pflastern der Mark zählen.  Die Leute entscheiden sich bewusst dafür, vor (!) den Toren der Hauptstadt das Zelt aufzuschlagen und es wollen so viele, dass die Preisspirale schon längere Zeit das Zumutbare durchbrochen hat.

 

Wenn es also dieser Tage viel Protest gegen das Festival gibt, dann sollte man registrieren, dass hier tiefgreifend in den Charakter der Region eingegriffen wird. Und selbst wenn längst nicht alle dagegen sind: Ein großer Teil ist es. Als Politik steht man nicht nur in der Verantwortung, Mehrheiten durchzusetzen. Es geht auch um den allgemeinen gesellschaftlichen Frieden. Und der ist gefährdet, selbst wenn eine knappe Mehrheit dafür ist.

 

Während die Region sich also spaltet in Befürworter und Gegner, der Ton rauer und zuweilen unsachlicher wird und jede Seite immer tiefer nach noch so abwegigen Argumenten buddelt, sitzt das Rathaus Hoppegarten in der Falle.

 

Man stelle sich den Flurschaden vor, das Festival scheitere nun an behördlichen Auflagen. In einer Zeit, wo uninformiert und penetrant von „Bürokratieabbau“ gesprochen wird, aber eigentlich die Entmachtung der demokratisch legitimierten Strukturen zum Vorteile privater Interessen gemeint ist, kann ein Bürgermeister nur scheitern.

 

So war es nicht verwunderlich, als Hoppegartens Bürgermeister Karsten Knobbe (DIE LINKE) auf der Informationsveranstaltung von Lollapalooza auf der Rennbahn am gestrigen Abend im Ton am schärfsten wurde, als er erklärte: „Es handelt sich um ein privates Fest auf einem Privatgrundstück. Mehr als zum Thema Emissionsschutz kann ich gar nicht sagen. Ich muss es auch nicht genehmigen, so, wie ich auch jede Ihrer Grillpartys nicht genehmigen muss. Wenn man will, dass wir hier mehr mitbestimmen dürfen, müssen sich die entsprechenden Gesetze ändern.“

 

Man merkte ihm an, wie er an der Quadratur des Kreises zum Scheitern verurteilt war. Vielleicht kann man ihm vorwerfen, er hätte sich im Frühjahr etwas leiser freuen sollen, als er nicht ohne Stolz die Absichten der Rennbahn GmbH und Lollapalooza kommentierte. Und mit über 1000 verkauften Tickets allein in Hoppegarten und Neuenhagen scheint er ja nicht alleine zu sein unter denjenigen, die sich freuen. Aber auch ihm ist klar: Einmalig mag es ein schönes Ereignis sein. Mehrmals und wir müssen reden.

 

Mit der Vergabe der öffentlichen Rennbahn an den privaten Investor Schöningh hat die Region das gemacht, was so oft bei Privatisierungen passiert: Erstmal ist man die Kosten los. Dann investiert der Investor. Und wenn er dann auf einmal doch nicht zaubern konnte und dieselben finanziellen Engpässe wie die öffentliche Hand hat, schreit er nach mehr Befugnissen und neuen Genehmigungen für gänzlich andere Konzepte. Wer von uns hat nicht Tränen in den Augen, wenn er am Berliner SEZ vorbeigeht?

 

Herr Schöningh und sein Privatgelände wollen nun also zu der Festivalwiese werden, die man in ganz Berlin nicht herausrücken will. Während der Veranstalter von Lollapalooza die Stadt Berlin dieser Tage verklagt, weil das Tempelhofer Feld nicht zur Verfügung stand, setzt man nun eine ganze Vorstadtregion unter Zugzwang. Wer will jetzt freiwillig Partykiller sein und riskieren, das Zehntausende anreisen, nur um frustriert vor verschlossenen Türen zu stehen?

 

Ich bekomme dieser Tage viele wütende Anrufe, wie ich als junger Mensch denn gegen so etwas Tolles sein könne. Das ist stellvertretend für die Zuspitzung der Debatte. Am gestrigen Abend wurden alle berechtigen Hinweise bezogen auf Verkehr, Lärm und Umwelt, unzureichend abgebügelt. Zwischenzeitlich fing der Veranstalter an, sich über die Kritiker lustig zu machen. Und vom versprochenen Sicherheitskonzept war erst gar nicht die Rede. „Das ist bestimmt voll geheim, hihi“, witzelte eine völlig deplatzierte Moderatorin. „Das ist nicht zum Lachen“, platzte es da frustriert aus einer Frau neben mir heraus.

 

Monatelang gar keine Infos, Salami-Taktik und ein viel zu später Info-Abend (inkl. 90min Vortrag, den niemand brauchte) und nun eine aufgepeitschte Region – das ist Lollapalooza. „Wir freuen uns, dass wir bei Ihnen zu Gast sein dürfen“, eröffnete die Geschäftsführerin. „Wir haben Sie gar nicht eingeladen“, war die logische Antwort, die sofort jemand aus dem Publikum erwiderte. Der ganze Abend ein Musterbeispiel für vollkommen verfehlte Kommunikation.

 

Veranstalter und Rennbahn haben sich – Entschuldigung, der muss jetzt sein – vollkommen vergaloppiert. Es geht nicht nur darum, dass bspw. alle 45 Sekunden ein Bus in der Lindenallee an zwei Tagen bis 1 Uhr Montag früh eine Zumutung sind. Es geht auch nicht darum, dass ja viele vielleicht doch bereit sind zu ertragen, wenn Sonderbrücken gebaut und ganze Straßenzüge gesperrt werden. Es geht darum, dass jetzt außer Frust gar nichts mehr zu gewinnen ist.

 

Ist das Fest besonders politisch? Erfüllt es einen besonderen, nachhaltigen Zweck? Profitiert die Region davon? Auf all diese Fragen kommt man ziemlich schnell zu einem Nein. Das Festival dient der privaten Profitmaximierung der Rennbahn und von Lollapalooza. Ist Geld verdienen was Schlimmes? Nein. Sollte es auf dem Rücken von zehntausenden Anwohnern und wahrscheinlich noch mehr Tieren und Pflanzen geschehen? Hier spaltet sich die Meinung.

 

Fakt ist: In Zeiten, wo von „denen da oben“ gesprochen wird und man aus Protest gerne mal blaue Nazis wählt, ist ein spaltendes und ortsuntypisches Festival pures Gift. Gemeinde, Anwohner, Natur – alle sind vor vollendete Tatsachen gestellt und alle bekommen den Frust zu spüren, wenn sie auch nur daran denken, kritische Nachfragen zu stellen.

 

Lollapalooza ist das Festival der Ohnmacht, denn es bestimmt die Regeln, die Kommunikation und den politischen Diskurs. Ein derartiges privatwirtschaftliches Festival braucht unsere Region nicht. Die Rennbahn darf gerne kreativ werden. Aber vielleicht sollte sie mal damit anfangen zu begreifen, wo sie steht und wer hier lebt. Und beim nächsten Anlauf darf sie gerne damit beginnen, die Region zu fragen, ob sie überhaupt jemanden einladen will.


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf