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"Keine Kürzung von sozialen Leistungen"

Linksfraktionschef Oskar Lafontaine im Sommerinterview des ZDF

Es ist sein erstes ZDF-Sommerinterview als Fraktionsvorsitzender der Linken. Im Saarland trifft sich der ehemalige sozialdemokratische Landesvater mit Peter Frey zum Gespräch. Lafontaine betont dabei, dass die Privatisierung gestoppt werden müsse. "Es soll nicht weiter Personal abgebaut werden, nachdem was bisher geschehen ist, und es sollen keine sozialen Leistungen gekürzt werden", sagt er.

Vor etwa einem Jahr sind Sie aus der SPD ausgetreten, jetzt kämpfen Sie für die PDS. Sie werden bald 63 - hat sich dieser Neubeginn für Sie eigentlich gelohnt, wenn Sie an all die Konflikte, an den Streit, an den Ärger mit den alten Freunden denken?
Es geht ja nicht um mich bei dieser Entscheidung. Es geht um die deutsche Politik und die Entscheidung war motiviert. Ich wollte die deutsche Politik wieder nach links verändern. Das ist zunächst einmal geschehen, als in der allgemeinen Meinung die Linke die Wahl entschieden hat, denn wir haben ja Schwarz-Gelb verhindert und Rot-Grün beendet. Insofern haben wir wesentlich dazu beigetragen, dass wir die Große Koalition haben.

Sie sagen, Sie haben die Wahl entschieden. Man könnte auch eine kritischere Bilanz ziehen: Sie sind in der Opposition, die in der Großen Koalition nicht viel bewirken kann. Sie selber müssen sich den Fraktionsvorsitz teilen und das, was Sie sich eigentlich vorgenommen haben, nämlich die Linke auch in die Landtage von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu bringen, das ist nicht eingetreten. Ist das nicht ein bisschen wenig für einen, der mal so mächtig war?
Natürlich war mir klar, dass, wenn man einen Neuanfang macht, dass da nicht sofort große Zahlen herauskommen bei den Wahlergebnissen - aber wir haben mit 8,7 Prozent ein beachtliches Ergebnis erreicht. Stärker als die Grünen, die eine ganz andere oder eine viel bessere Ausgangssituation hatten. Wir haben dazu beigetragen, dass die deutsche Politik wieder über soziale Gerechtigkeit diskutiert - das ist ja schon etwas. Sie werden sehen, in den nächsten Jahren wird sich das noch verändern, weil wir da sind.

Aber Politik wird ja auch immer daran gemessen, was sie konkret erreicht. Und ich sage noch einmal: Eines Ihrer auch ganz persönlichen Ziele, Sie haben ja auch selber Wahlkampf gemacht in Rheinland-Pfalz, war, die Linke in einen Landtag im Westen zu bekommen. Das ist Ihnen nicht gelungen.
Nein, das ist nicht mein Ansatz. Mein Ansatz ist es, Politik zu verändern. Die Verhinderung der schwarz-gelben Regierung verhindert beispielsweise die Kopfpauschale, die wir nicht wollen und verhindert etwa die Steuerreform, die Herr Merz entwickelt hat, die so genannte Bierdeckel-Steuerreform, die sozial noch ungerechter wäre. Sie sehen also, wir sind ergebnisorientiert.

Das ist Ihre Interpretation. Man könnte auch sagen, das Einzige, was Sie wirklich erreicht haben, ist, dass Gerhard Schröder nicht mehr Kanzler ist, dass die SPD einen Kanzler verloren hat.
Das ist auch relativ unwichtig. Wichtig ist nur, ob die Politik sich verändert. Schröder stand für eine Politik, die wir ablehnen, beispielsweise für Hartz IV, für die Agenda 2010, für völkerrechtswidrige Kriege - wie Frau Merkel im Übrigen auch. Diese Politik wird von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Sie können das daran sehen - und das ist wiederum unsere Rolle als Ferment in der deutschen Politik - , dass die Volksparteien auf dem niedrigsten Stand sind in der Nachkriegsgeschichte. Das zeigt eben, dass die Volkspartei mit Ihrer Politik völlig daneben liegt.

Sie sagen "völkerrechtswidrige Kriege" - also beim Irak war die SPD dagegen. Aber wenn Sie zum Beispiel auf den Balkan anspielen, da saßen Sie am Kabinettstisch und haben nicht widersprochen.
Ich habe sehr wohl widersprochen. Es wird von denen, die ein schlechtes Gewissen haben, das Märchen verbreitet, ich hätte nicht widersprochen. Ich habe stets darauf hingewiesen: Für Entscheidungen dieser Art muss es eine völkerrechtliche Grundlage geben, also eine UNO-Entscheidung. Die gab es nicht, insofern wollte ich das gerne hier mal klarstellen. Aber im Übrigen, es war ja nicht nur der Jugoslawienkrieg völkerrechtswidrig, es ist genauso der Afghanistankrieg völkerrechtswidrig. Wir sind entgegen der veröffentlichten Meinung in Deutschland am Irakkrieg beteiligt - laut der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes, das gesagt hat, wer durch die Bereitstellung von Überflugrechten, von Flughäfen und von Infrastruktur den Krieg ermöglicht, der leistet Beihilfe zum Bruch des Völkerrechtes und handelt damit völkerrechtswidrig. Also noch heute handelt die Bundesregierung völkerrechtswidrig, ohne dass das öffentlich zum Thema gemacht wird.

Reden wir über Ihre eigene Partei - über PDS, über WASG, die zusammenkommen wollen. Merkwürdigerweise treten die beiden Parteien jetzt in Konkurrenz zueinander bei den Landtagswahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern an. Wächst das zusammen, was doch nicht zusammengehört?
Das sind natürlich Anfangsschwierigkeiten, mit denen wir gerechnet haben. In Berlin haben wir eine besondere Situation, weil eine kleine Gruppe sich gegründet hat im Widerspruch zum Berliner Senat. Diese kleine Gruppe wollte den Weg nicht mitgehen, das respektieren wir.

Das könnte Sie die Regierungsbeteiligung kosten.
In Mecklenburg-Vorpommern sind es so 30, 40 Leute, die eine eigene Partei aufmachen. Das respektieren wir auch. Aber insgesamt sind es 70.000 Mitglieder - das sind mehr Mitglieder als bei FDP oder bei Grünen - die bereit sind, diesen neuen Weg zu gehen. Das ist eine gute Grundlage.

Wie wichtig ist es für den Erfolg dieses Fusionsprojektes - das soll ja erst im nächsten Jahr sozusagen beschlossen werden, offiziell zu einer Partei werden -, dass Sie jetzt bei diesen Landtagswahlen im Herbst die Regierungsbeteiligung sichern?
Die Regierungsbeteiligung ist nicht das erste Ziel der Linken. Das Ziel der Linken ist es immer, Politik zu verändern. Man muss das schlicht und einfach deutlich machen, denn wir sehen ja, was jetzt in der Bundesregierung los ist. Keine der beteiligten Parteien kann sagen, warum sie überhaupt in der Bundesregierung ist. Die CDU hat das Gegenteil von dem, was jetzt gemacht wird, im Wahlkampf versprochen. Die SPD ebenfalls. Solche Art von Politik mögen wir nicht, weil das ist Karl Kraus, die glaubten, sie seien an der Macht, aber in Wirklichkeit waren sie nur an der Regierung. Wir wollen tatsächlich Politik verändern und das ist auch das Ziel in den Landtagen und in den Gemeinden.

Sprechen Sie da wirklich für all die Minister und Senatoren, die jetzt für die PDS in den Regierungen sind? Es ist doch so, dass man dort ganz pragmatische Politik macht. Wenn die gehen wollten, hätten sie doch gehen können, wie Sie 1999.
Das ist richtig. Man macht pragmatische Politik, aber die Politik muss sich rechtfertigen. Nehmen wir zum Beispiel Berlin. Dort ist es so, dass man gestaffelte Gebühren hat, etwa bei den Kindertagesstätten, und zwar nach sozialen Kriterien. Das ist also Politik, die man unterstützen kann. Dort ist es so, dass beispielsweise die Privatisierung jetzt bestimmter, wichtiger Betriebe für die Stadt - wie die Verkehrsbetriebe oder die Reinigungsbetriebe - verhindert worden ist und auch der Verkauf der Krankenhäuser. Das sind wichtige politische Entscheidungen, die ...

Jetzt picken Sie sich Dinge raus, die sozusagen passen. Andere Beschlüsse des Berliner Senats waren zum Beispiel, das Sozialticket nicht weiter zu führen. Das wurde mit der PDS beschlossen.
Ja, das Sozialticket wurde nicht weitergeführt. Es wurde dann wieder eingeführt, allerdings nicht so günstig wie es früher der Fall war. Das haben wir intern ja auch kritisiert. Insofern ist es natürlich in der heutigen Zeit, in der der Staat völlig unterfinanziert ist, für eine Linke schwierig, sich an Regierungen zu beteiligen. Das ist gerade die Diskussion, die wir führen.

Aber Sie beteiligen sich an Regierungen. Ihre Minister sind nicht ausgetreten. Das Sozialticket ist nicht das einzige Beispiel. In Dresden haben Sie kommunale Wohnungen verkauft, mit Zustimmung der PDS. In Berlin zum Beispiel haben Sie Stellen gekürzt.
Das ist ein Irrtum. Da muss ich Sie unterbrechen. Die Linkspartei - weil Sie immer wieder PDS sagen, das ist natürlich Absicht, aber ich muss darauf hinweisen, sie heißt Linkspartei -, die Linkspartei in Dresden war gegen diesen Verkauf und die Partei hat auch Unterschriften gesammelt gegen diese Entscheidung, nämlich über 40.000 mit anderen zusammen. Es gab einen Teil der Abgeordneten im Stadtrat, die da mitgestimmt haben und dies führt eben zu der Diskussion innerhalb der Partei. Weil wir als einzige politische Kraft sagen, wir wollen keine Privatisierung der öffentlichen Dienstleistung. Weil immer eines herauskommt: Die Entlohnung der Beschäftigten wird schlechter und die Leistungen werden schlechter. Genau das wollen wir nicht. Wir sind der Auffassung, dass Deutschland in den letzten Jahren einen Privatisierungswahn zu verkraften hat. Der Privatisierungswahn, der von den anderen Parteien ausging und der mit dazu geführt hat - nehmen Sie die Post oder nehmen Sie die Bahn - dass die Dienstleistungen immer schlechter wurden.

So reden Sie immer, aber Ihre Politiker, die in Verantwortung stehen, handeln anders. In Berlin - das ist jetzt das dritte Beispiel, das ich nenne - wurden Stellen im öffentlichen Dienst gekürzt, obwohl Sie immer bei Ihren Reden dagegen sind.
In Berlin ist es so, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst im Durchschnitt weitaus höher war als in anderen Ländern. Insofern hat man in dieser Ausnahmesituation von Seiten der Linkspartei den Stellenabbau mitgetragen. Aber wir haben ja jetzt eine Diskussion in unserer neuen Gruppe - das dürfen Sie nicht übersehen. In dieser Diskussion haben wir einmal brutale Zahlen genannt, die in der öffentlichen Debatte in Deutschland eine Rolle spielen müssen. Wir haben einen öffentlichen Dienst - nach der neuen OECD-Statistik -, der niedriger ist als der öffentliche Dienst in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien. Wir haben in Schweden und Dänemark einen öffentlichen Dienst, der das Doppelte ist, nicht wie in Deutschland. Das heißt, wenn wir einen ähnlichen Beschäftigungsanteil haben wie in Schweden oder in Dänemark, hätten wir fünf Millionen Beschäftigte mehr im öffentlichen Dienst. Die Zahl müsste Ihnen irgendwie bekannt vorkommen.

Aber reden wir darüber, was Ihre Kollegen, Ihre Parteifreunde tun, wenn Sie in der Verantwortung sind. Gibt es da in der PDS nicht einen Zwiespalt - und es gibt ja die so genannten Realos bei Ihnen, die das auch aussprechen? Die sagen, Lafontaine steht für Ideologie und wir stehen für Pragmatismus.
Es gibt natürlich Diskussionen innerhalb der Linkspartei, aber das ist ja in jeder Partei üblich. Letztendlich muss sich aber die Linkspartei rechtfertigen über ihre Politik. Ich nehme jetzt beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern. Dort hat die Linkspartei darauf gedrungen, dass das gemeinsame Lernen, wie in Finnland, länger dauert als in anderen Ländern. Das ist eine wichtige Entscheidung für die Menschen dort und rechtfertigt auch eine Regierungsbeteiligung. Oder, ich nehme jetzt einmal Mecklenburg-Vorpommern, dort wird unsere Kampagne "acht Euro pro Stunde Mindestlohn" zum Thema in den Wahlkämpfen. Sie sehen, wir brauchen eine Linkspartei, auch wenn viele das nicht wollen.

Definieren Sie doch mal die Grenzen, wo Sie mitmachen sollten oder wo Sie aussteigen müssten. Sie müssen ja wahrscheinlich in Berlin, wenn Sie überhaupt noch mitregieren, Kompromisse machen mit der SPD, vielleicht auch mit den Grünen. Wo ist die Grenze, die nicht überschritten werden darf?
Es soll nicht weiter privatisiert werden. Es ist auch Konsens in der Linkspartei, wobei natürlich eine Minderheit immer andere Auffassung hat. Es soll nicht weiter Personal abgebaut werden, nachdem was bisher geschehen ist, und es sollen keine sozialen Leistungen gekürzt werden. Denn eines muss klar sein: Deutschland braucht eine politische Kraft, die nicht das macht, was alle anderen Parteien, die mit uns konkurrieren, machen - also Hartz IV, Agenda 2010 und völkerrechtswidrige Kriege.

Reden wir mal über einen eher kulturellen Aspekt des Lebens im Osten. Wir sind hier in Völklingen. Ein Denkmal, ein Industriedenkmal, das an die Vergangenheit erinnert. Ein Stück Vergangenheit der DDR ist in dem Film "Das Leben der Anderen" dargestellt worden. Haben Sie sich den angeguckt?
Ich habe ihn mir nicht angeguckt, aber ich nehme an, Sie zielen auf die Stasi-Debatte ab, oder so.

Darf ich Ihnen die Frage stellen? Es ist ja so, dass Stasiaktionäre, ehemalige Stasifunktionäre, sich heutzutage ungerecht behandelt fühlen und sagen, das, was wir für die DDR gemacht haben, das war richtig, das war gut. Wie empfinden Sie das?
Das ist natürlich sehr kritisch zu betrachten. Aber ich empfinde die ganze Diskussion um die Stasi als sehr verlogen in Deutschland. Und ich will gerne die Gelegenheit ergreifen, dazu einmal etwas zu sagen. Sie müssen sich, auch unsere Zuschauer müssen sich einen Moment mal vorstellen, die sowjetischen Panzer wären nicht in den Osten Deutschlands, sondern in Bayern oder Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz oder hier an der Saar eingerollt. Wer glauben Sie, wer sich dann alles rechtfertigen müsste für seine SED-Vergangenheit?

Sind Sie denn dafür, dass diese Vergangenheit aufgearbeitet werden müsste?
Selbstverständlich. Auf diese Verlogenheit hat als Einziger bei den konkurrierenden politischen Parteien immer Helmut Kohl hingewiesen, das möchte ich einmal anerkennen. Aber viele, die sich heute im Bundestag äußern, wären Mitläufer gewesen, die ebenfalls in der SED eine Heimat gefunden hätten.

Was tut denn Ihre Fraktion dafür, die sicher in einer besonderen Verantwortung steht, diese Vergangenheit...
Die Fraktion ist ja neu. Sie ist eine neue Gruppe im Bundestag, an der auch viele WASG-Mitglieder beteiligt sind, die ja nicht unbedingt gehalten sind, in erster Linie eine Aufarbeitung zu betreiben. Die Linkspartei hat dies in mehreren Parteitagen getan und hat sich in ihrem Grundsatzprogramm und in ihrem Programm auf dem Chemnitzer Parteitag - das ist etwa drei Jahre alt - deutlich geäußert zu all diesen Fragestellungen.

Meinen Sie, die Fraktion hat damit gar nichts zu tun?
Selbstverständlich hat sie etwas zu tun. Sie dürfen die Worte jetzt nicht verdrehen, die ich sage. Wir sollten jetzt nicht die WASG-Mitglieder ansprechen und sagen, ihr müsst nun auch Vergangenheitsbewältigung betreiben. Die Rosenholz-Datei hat ja gezeigt, dass auch andere Parteien Vergangenheitsbewältigung betreiben müssen - insbesondere CDU und FDP, die die Blockparteien geschluckt haben. Die waren praktisch eine Abteilung der SED, ohne dass CDU oder FDP überhaupt noch wahrhaben wollen, dass sie eine ganze Reihe von Leuten in ihren Reihen haben, die ebenso in das System der DDR involviert waren wie die SED. Das wird leider in der Öffentlichkeit immer wieder verschwiegen. Ich möchte es gerne heute noch einmal sagen.

Gut. Also halten wir mal fest: Sie sagen, die Vergangenheit ist Sache der Partei und weniger der Fraktion.
Der Parteien, also auch der CDU und der FDP, weil sie Blockparteien mit ihrem Vermögen integriert haben.

Gut. Die WASG und die PDS werden sich offiziell vereinigen, nächstes Jahr beim Gründungsparteitag, wenn es dazu kommt. Werden Sie eigentlich antreten als erster Vorsitzender?
Also diese Fragestellung ist jetzt wirklich nicht aktuell, weil ganz klar ist, dass zwei Leute Parteivorsitzende sein werden. Das ist schon verabredet. Ich gehe davon aus, dass Lothar Bisky sein Amt weiter führt. Wer dann dazu kommt, das werden wir entscheiden, wenn die Satzung verabschiedet ist. Man soll immer die Entscheidungen treffen, wenn Sie anstehen und nicht, wenn sie noch nicht anstehen. Zunächst brauchen wir die gemeinsame Linke und ich habe alles dafür getan, dass sie kommt. Sie hat schon Entscheidendes in Deutschland bewirkt.

In welche Richtung werden Sie die Partei denn führen wollen, wenn Sie so ein Amt übernehmen? Geht das in Richtung Regierungsbeteiligung - wenn Sie an die Bundestagswahl 2009 denken -, oder ist die Rolle der Linkspartei dann Opposition auf längere Zeit, so wie das bei den Grünen war?
Unsere Absicht ist es, Politik zu verändern. Wir sind eine Gruppe, die im Gegensatz zu allen anderen Parteien eben neue Themen bringt. Ich nehme mal ein Thema: den Generalstreik. Keine andere Partei vertritt das. Warum wollen wir den Generalstreik? Wir möchten, dass wie in Frankreich das Volk die Möglichkeit hat, bei bestimmten Fehlentscheidungen der Regierung über einen Generalstreik diese Fehlentscheidung zu korrigieren - wir wollen Politik verändern. Wir sind deshalb für diesen Generalstreik und wir wollen, dass das Volk die Möglichkeit hat, Fehlentscheidungen der Politik zu korrigieren, über den Generalstreik, für den Abbau des Kündigungsschutzes. Es gibt beispielsweise in Frankreich und das möchten wir auch in Deutschland -

Wollen Sie dafür in einer Regierung eintreten?
Wenn ich den Generalstreik anspreche, dann ist das eben eine Entscheidung des Volkes, dann muss man nicht in der Regierung sein. Wir würden uns nur an einer Regierung beteiligen, wenn die Politik stimmt. Und dadurch unterscheiden wir uns von anderen Parteien. Auf der Grundlage von Hartz IV, oder Agenda 2010, also Sozialabbau plus völkerrechtswidrigem Krieg, würden wir uns niemals an einer Regierung beteiligen.

Gesetzt den Fall, es gäbe im Jahr 2009 wieder die Möglichkeit zu einer linken Mehrheit und die SPD würde über eine solche Sache nachdenken. Dann wissen Sie selbst am besten, dass Sie für Ihre alte Partei wahrscheinlich das größte Hindernis sind, eine solche Koalition einzugehen. Wären Sie unter dieser Voraussetzung bereit, auf Ihr Amt zu verzichten?
Die linke Mehrheit möchte ich gerne aufgreifen, das ist ja Ihre Frage. Eine linke Mehrheit definiert sich inhaltlich, die gibt es zur Zeit nicht. Eine linke Mehrheit kann niemals Sozialabbau und Kriege befürworten. Eine linke Mehrheit muss sich also für einen Sozialstaat, wie Schweden oder Dänemark, engagieren. Sie muss sich für die Beachtung des Völkerrechtes einsetzen, was die derzeitige Bundesregierung ja nicht tut und die übrigen Parteien ebenfalls nicht. Doch einmal unterstellt, es gäbe eine Gruppe, die sagen würde, wir wollen nicht mehr Sozialabbau, wir wollen einen Sozialstaat wie die Nachbarstaaten und wir wollen uns in Zukunft aufs Völkerrecht orientieren - dann könnten wir darüber sprechen. Ich würde eine solche Entscheidung niemals behindern. Ich versuche Ihnen während des ganzen Interviews klarzumachen, dass mein jetziges Engagement inhaltlicher Art ist und nicht an irgendwelchen Posten orientiert ist.

Das heißt, Sie würden auch zurücktreten, wenn die SPD ...
Wovon?

Von Ihrer Position.
Von welcher Position?

Wenn Sie in einem Amt sind - als Fraktionsvorsitzender.
Nun muss ich Ihnen natürlich sagen, dass die Fragestellung etwas lächerlich ist. Wenn also zum Beispiel eine Zusammenarbeit möglich wäre und eine Gruppe würde sagen: "Aber ein Fraktionsvorsitzender muss zurücktreten" - dann wäre das doch etwas absurd.

ZDF, 06.08.2006


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf