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Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag, Maria!

Maria Scheweleit

Ein Interview von Werner Niebsch.

Sie ist das älteste Mitglied in unserem Ortsverband, Maria Scheweleit, geboren 1915 in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul.
Ich habe mich mit ihr aus Anlass des Internationalen Frauentages zu einem Gespräch verabredet. Ich bin neugierig: Was wird mir Maria aus ihrem langen Leben, von ihren vielen Erfahrungen berichten?

Aufregender erster Lebensabschnitt
„Bist du wirklich in der Türkei geboren?“, platze ich mit meiner ersten Frage heraus, kaum dass wir in der gemütlichen Sofaecke Platz genommen haben. Ich erfahre, dass ihr Großvater, ein Rheinländer, am Ende des 19.Jahrhunderts, getrieben von der Arbeitslosigkeit und gelockt von vielversprechenden Aussichten auf ein schönes Leben im Osmanischen Reich in einem Vorort von Konstantinopel eine neue Existenz gründete. Dort brachte er es tatsächlich zu einigem Wohlstand. Marias Mutter wächst heran, heiratet, Maria wird geboren. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs gerät die Familie, also auch die etwa zweijährige Maria, in französische Gefangenschaft, es kommt zum Austausch mit französischen Gefangenen, aber das Schiff, auf dem die Deutschen nun nach Hause wollen, kann erst nach einer zweijährigen Odyssee 1919 im Hamburger Hafen landen.

Kindheit und Ausbildung
Von hier geht es sofort weiter nach Berlin. Maria besucht zunächst eine katholische Schule, eine Aufbauschule zur mittleren Reife und schließlich eine Höhere Fachschule für Frauenberufe. Sie trägt nebenbei Zeitungen aus und ergänzt damit das Familieneinkommen. Sie absolviert eine Lehre als Damenschneiderin und legt ihre Gesellenprüfung mit dem Prädikat „gut“ ab und arbeitet als Maßschneiderin, später als Modellschneiderin. Da sind die Nazis schon an der Macht. Ihr Mann, Mitglied der KPD, (sie hat ihn beim Arbeitersportbund Fichte in der Abteilung Wandern kennengelernt) wird wegen volksfeindlicher Propaganda oder wie immer die Nazis das Vertreten von gegensätzlichen Ansichten nannten für anderthalb Jahre inhaftiert. Er wird als wehrunwürdig eingestuft, aber schließlich doch eingezogen und an den gefährlichsten Frontabschnitten eingesetzt.

Die letzten Kriegsjahre und erste Nachkriegszeit
Als Maria 1943 ihren Sohn zur Welt bringt, ist der Vater nicht da. Die Zeiten sind schwer, Maria erzählt nichts Konkretes dazu, sie sagt nur, dass „ihr Nervenkostüm völlig kaputt“ war, was wohl eine etwas verharmlosende Beschreibung ist. Denn während sie von ihren ersten Arbeitsverhältnissen nach dem Ende des Krieges spricht, kommt sie darauf zu sprechen, dass sie mehrfach ärztliche Kontakte und Kuraufenthalte deswegen in Anspruch nehmen musste. 1947 wird ihre Tochter geboren. Ihr Mann (sie werden das Glück haben, die Eiserne Hochzeit zu feiern, das bedeutet 65 Ehejahre!) kehrt aus der Gefangenschaft zurück und sie ziehen 1950 nach Neuenhagen.

Arbeitsleben in der DDR
Maria arbeitet bis 1975 nun nicht mehr als Schneiderin, sondern nach einer sechswöchigen journalistischen Kurzausbildung in Leipzig in verschiedenen Pressestellen, das fing an beim Amt für Information und endete in der Pressestelle des Ministeriums für Kultur, wo sie 10 Jahre tätig war. Zwischenzeitlich war sie in der Presseabteilung des Modeinstituts und auch beim GST-Zentralvorstand angestellt.

Mitwirkung im Ortsverband
Maria ist heute noch auf fast allen Veranstaltungen unserer Partei präsent. Als ich sie nach ihren Aktivitäten in ihrem langen Rentnerdasein frage, nennt sie mir ihre frühere Mitarbeit in der Ortsparteileitung und bei den Autoren in dem Zeitzeugenkreis um den schon verstorbenen Günther Voigt.
Ziemlich zum Schluss unseres Gesprächs stelle ich ihr die Frage: Warum bist du bei den LINKEN?
„Meine Mutter war die treibende Kraft.“, antwortet sie und erläutert mir das anschließend. Sie erzählt, dass ihre Mutter in Zeiten der Weimarer Republik einen Mieterstreik in Berlin organisierte, berichtet von einem schlimmen Arbeitsunfall in der Tabakfabrik, bei der ihre Hand schwer verletzt wurde. Ich interpretiere das so: Das Leben der Scheweleits, das Leben der sogenannten kleinen Leute im Kapitalismus brachte sie dazu, nach einem besseren, gerechteren Leben zu suchen und etwas dafür zu tun.

Maria, wir danken dir dafür, und siehe oben!

aus <media 31618 - more>Ansichten-Aussichten</media>, März 2012


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Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf