Diese Website verwendet Cookies.
Zum Hauptinhalt springen

Es geht um 250 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst - und mit welcher "Wahrnehmung", "Kompetenz" und "Verantwortung" treten SPD/CDU/CSU im Bundestag an?

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, dass sich gerade der öffentliche Dienst, voran die Länder, zum Vorreiter bei der Umsetzung der Beschlusslage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie machen soll.

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, dass sich gerade der öffentliche Dienst, voran die Länder, zum Vorreiter bei der Umsetzung der Beschlusslage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie machen soll. Das alles, auch die Verlängerung der Arbeitszeit, können Sie in dessen Programmen nachlesen. Klaus Ernst in der von der Fraktion DIE LINKE. beantragten Aktuellen Stunde „Tarifliche Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst“.

16. März 2006 




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kammer, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall)

Ich habe jetzt die unangenehme Aufgabe, zwei Kollegen zu rügen. Der Kollege Reinhard Grindel hat dazwischengerufen: „Lafontaine, das ist die Schweinebande, die hinter dir sitzt!“ und der Kollege Ernst Burgbacher hat folgenden Zwischenruf gemacht: „Schämt ihr euch eigentlich nicht? Diese Proleten!“ Diese Ausdrucksweisen entsprechen nicht dem parlamentarischen Sprachgebrauch. Ich rüge das.

Der nächste Redner ist der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: Aber nicht wieder ein Ganzkörperkondom überziehen! – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das war jetzt nicht „Tokio-Hotel“! – Weitere Zurufe)

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Wollt ihr eure Unflätigkeiten vor oder nach meiner Rede austauschen? Ihr könnt es auch gleich machen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Währenddessen!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich möchte als Erstes auf Sie eingehen, Herr Weiß. Ich habe mit Freude zur Kenntnis nehmen können, dass Sie den Rücktritt von Herrn Gysi bedauern. Schön! Sie hätten allerdings auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass er sein Amt verlassen hat, nachdem er es angetreten hatte.

(Lachen des Abg. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU)

Der Ministerpräsident aus Bayern ist einer, der das schon vorher schafft. Das ist eine große Leistung.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP])

Zweitens. Ich würde gern mit Ihnen über das reden, was denn in diesem Streik eigentlich los ist und welche Rolle der öffentliche Dienst hat. Ich habe das bisher so verstanden, dass wir uns auch ein wenig darum kümmern, dass in diesem Bereich, im öffentlichen Sektor, vorbildliche soziale Standards gelten und dass dort die Dinge auch einigermaßen in Ordnung sind. Jetzt stelle ich fest: In dieser Auseinandersetzung geht es darum, dass sich gerade der öffentliche Dienst, voran die Länder, zum Vorreiter bei der Umsetzung der Beschlusslage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie macht. Das alles, auch die Verlängerung der Arbeitszeit, können Sie in dessen Programmen nachlesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn inzwischen die öffentliche Hand und vor allem die Länder die Tür für weitere Arbeitszeitverlängerungen aufstoßen, dann stößt die Industrie nach – das ist doch klar – und will dasselbe, was Sie den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zumuten.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sagt man immer, es gehe um 18 Minuten;

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch die PDS in Berlin alles gemacht! Als die Arbeitszeit verlängert wurde, da war Gysi noch Senator!)

weil jeder 18 Minuten länger arbeiten könne, sei das kein Thema. Natürlich kann man 18 Minuten länger arbeiten. Wir können auch eine Stunde länger arbeiten. Wir können auch wieder 42 Stunden arbeiten, so wie das in Bayern im öffentlichen Dienst der Fall ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir können in Krankenhäusern auch wieder Beißkeile einführen, statt Anästhesie zu betreiben.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Sie würden auch dazu sagen, das sei ein Fortschritt, Herr Niebel. Das ist das Problem, das wir hierzulande haben. Es ist aber ein Rückschritt.

(Dirk Niebel [FDP]: Wieder Ganzkörperkondome?)

– Ja, ja, ich habe mir gedacht, dass Sie das ärgert. Aber manchmal muss man die Wahrheit sagen. Sie tun immer so, als wäre das, was Sie hier im Parlament vertreten, ein großer Fortschritt. Was Sie hier vertreten, Herr Niebel, ist der Weg zurück,

(Dirk Niebel [FDP]: Nein, den Weg zurück haben Sie beschritten!)

über die Industrialisierung zurück bis ins Mittelalter. Da gehört ihr eigentlich hin.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil wir gerade dabei sind, möchte ich etwas zu Ihrem Antrag zum Streikrecht sagen, Herr Niebel. Man darf nicht mehr streiken, wenn es schneit, weil die Straßen dann nicht geräumt werden. Man darf nicht mehr streiken, weil dann der Müllberg liegen bleibt und darüber die Ratten laufen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gewährleistung von Notdiensten!)

Ich sage Ihnen: Wenn es nach Ihnen geht, darf man in diesem Land nur noch streiken, wenn die Sonne scheint. Was ist das für ein Streikrecht?

(Dirk Niebel [FDP]: Man darf sterben, weil Verdi streikt!)

– Ach, mein Gott! Da werden die Beschäftigten im öffentlichen Dienst als Mörder bezeichnet. Ist Ihnen eigentlich klar, dass es bei dieser Auseinandersetzung auch noch andere gibt, unter anderem Ministerpräsidenten und Minister der Länder, die gut verdienen und den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dauernd an die Geldbörse gehen? Das halte ich für eine Sauerei hierzulande.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: Dann geben Sie doch von Ihren Diäten gleich mal was ab!)

Natürlich wird immer sehr gern darauf verwiesen, dass aus Gründen der Konkurrenz mit anderen Ländern länger gearbeitet werden muss. Dazu hat der Herr Gysi schon einiges gesagt. Es ist so, dass wir in Deutschland den öffentlichen Dienst inzwischen zum Vorreiter beim Abbau von sozialen Leistungen machen. Das kann aber nicht Aufgabe von staatlichen Instanzen sein, auch nicht von Länderregierungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn in Italien und in anderen Ländern Europas kürzer gearbeitet wird, dann ist es nicht notwendig, aus irgendwelchen internationalen Gründen bei uns länger zu arbeiten.

Ich sage Ihnen, um was es wirklich geht. Sie erklären, 18 Minuten, das sei gar nicht so lange. Vielleicht ist Ihnen Folgendes aufgefallen: Wenn eine um 18 Minuten verlängerte Arbeitszeit gelten würde, würde das unmittelbar zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.

(Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist reine DDR-Mathematik! – Dirk Niebel [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie machen sich darüber lustig, dass 250 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst verteidigt werden. Die würden Sie offensichtlich gern abbauen. Ich halte das für einen Skandal.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss; das wird Sie sehr freuen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Viel gebracht haben Sie ja bisher nicht, Herr Ernst!)

Ich möchte in dieser Frage auch die SPD nicht ganz aus der Verantwortung nehmen. Ihr habt jetzt auf den Möllring eingeschlagen. Da habt ihr Recht; denn er will eigentlich gar keinen Tarifvertrag mehr. Freiheit heißt für ihn, Freiheit von Tarifverträgen; er will keinen Tarifabschluss mehr. Das ist der eigentliche Punkt.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Woher wollen Sie denn das wissen?)

Aber dass ihr jetzt so besonders freundlich zu den Gewerkschaften seid, insbesondere indem ihr Möllring kritisiert und damit eine Nähe zu den Gewerkschaften herstellt, kann ich euch nicht mehr so ganz glauben.

(Dirk Niebel [FDP]: Ach nee! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ausgerechnet der sagt das!)

Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere auch von euch den Dolch im Gewande hat.
Der kommunale Arbeitgeberverband in Baden-Württemberg wird durch den Bürgermeister von Pforzheim vertreten, der in der SPD organisiert ist,


(Dirk Niebel [FDP]: Nein, das ist der von Mannheim! – Weitere Zurufe von der SPD)

aber selber die ganzen Schweinereien mitmacht. Tut doch nicht so, als wärt ihr nicht selber für die Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst! Das ist doch das eigentliche Problem: Die Sozialdemokraten machen bei der Arbeitszeitverlängerung mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das müsst ihr ändern. Dann wird die Situation in diesem Land wieder einigermaßen vernünftig.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Ernst.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Ja, komme ich gleich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nein, sofort.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Wir können zwar noch nicht – –

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Ernst, Ihre Redezeit ist längst vorbei. Es ist jetzt Schluss!

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Gut. – Dann bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. Wir können noch nicht verhindern, was Sie da treiben; aber wir können es wenigstens ordentlich sagen und das tun wir auch.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er will 18 Minuten mehr Redezeit!)


Alle Ausgaben unserer kleinen Zeitungen "Ansichten - Aussichten", "Bürgerzeitung" und "Im Gespräch" finden Sie hier

Lektüretipp

Wir empfehlen Euch die Lektüre  von " Das kurze Gedächtnis - Wie es wurde, was es ist - Splitter aus der deutschen Nachkriegsgeschichte" Gedanken von Kerstin Kaiser, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau www.dielinke-neuenhagen.de/fileadmin/neuenhagen/Gedaechtnis.pdf