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Sven Kindervater

#Sonntagsgedanken: Nahrung für unser Neugeborenes

Der 2016er Parteitag der LINKEN ist gerade ein paar Stunden alt und doch schreit er schon und möchte beachtet werden. Denn es war in ganz vielen Bereichen eine völlig neue LINKE. Auch wenn das viele vielleicht gar nicht so mitbekommen haben.

Wäre diese Seite tatsächlich zum Anfassen, sie wäre noch warm. Der 2016er Parteitag der LINKEN ist gerade ein paar Stunden alt und doch schreit er schon und möchte beachtet werden. Das Bild des Neugeborenen kann uns gerne noch etwas begleiten. Denn es war in ganz vielen Bereichen eine völlig neue LINKE. Auch wenn das viele vielleicht gar nicht so mitbekommen haben.

 

Das mag vor allem verwundern, wenn man das ‚Schlusswort der Herzen‘ beachtet: „Wir hatten gar keinen Parteitag“, platzte es hochwütend aus einem sächsischen Delegierten kurz vor den Danksagungen. Es sei eher eine Parteivorstandsshow gewesen. Reden der Parteispitze, Wahlen der Parteispitze, Behandlung von Anträgen der Parteispitze. Während die Promis ihre Redezeiten reichlich überziehen konnten, plagten sich die Delegierten mit Leitanträgen bis weit nach Mitternacht herum, wurden weggeklingelt bei der kleinsten Zeitüberschreitung und Anträge der niederen Ebenen gegen Ende abrupt abgebrochen.

Was für ein fürchterlicher Parteitag mag man da glauben. Aber halt, schreit der Kenner: Wann war das je anders? Richtige Antwort: Noch nie. Dank der Nutzung von Technik ging dieser Wahlparteitag der Parteispitze sogar noch schneller als sonst. Und es war sogar mehr Zeit für Diskussionen. Es war am ersten Tag sogar früher Schluss als sonst. Da war es oft nicht nach 1 Uhr, sondern 3 Uhr. Warum nun aber dieser Ausbruch der Gefühle?

 

Nicht mit sich selbst beschäftigt

Weil die Partei richtig Lust auf Diskussionen hat. Das mag sich für viele noch nicht so anfühlen. Die, die heute nicht gewählt wurden, äußern sich bereits etwas geknickt. Die, die gehofft hatten, dass es Mal mutig auch solidarisch um Konflikte geht, mussten feststellen, dass nur wenige wirklich angesprochen wurden. Und die, die ihre Anträge nicht abgestimmt gesehen haben, sind zuweilen hochwütend. Doch ich möchte den Fokus mal auf etwas richten, was sich zwar irgendwie selbstverständlich angefühlt hat, aber alles andere als selbstverständlich ist.

Es war ein Parteitag, auf dem sich DIE LINKE mal fast gar nicht mit sich selbst beschäftigt hat. Moment, bei einem Parteitag, wo es über 50 Personenwahlen gab? Ja. Natürlich war noch nichts perfekt, unser Neugeborenes war noch sehr ungestüm, etwas plärrend und tapsig. Aber das ändert nichts daran, dass etwas Neues entstanden ist.

 

Eine neue Stufe

Es ging um Themen, Themen, Themen. Der Feind stand nicht mehr im eigenen Raum. Die gesamte Palette jetzt aufzuzählen würde leider das Internet zerstören. Aber ich wiederhole das einfach nochmal: Es ging nicht um uns selber. Selbst jede Kandidatenrede war inhaltlicher Natur. Jede Nachfrage war inhaltlich. Jeder Antrag war inhaltlich. Keine Nachfrage, welcher Strömung man anhängt, kein Vorwurf, man sei ja ein Verräter, kein ausgeklüngelter Schachzug zur Demütigung.

Nun mögen mir auch hier einige Widersprechen. Ja, die Regierungen von Thüringen und Brandenburg wurden vereinzelt angegriffen. Ja, es gab auch leider immer noch so manches Klatschen, wenn man sich durchgesetzt hat und Buuhrufe. Unser Neugeborenes lernt ja aber auch erst zu gehen. Die übergroße Mehrheit hat diese Ausrutscher bereits gekonnt ignoriert. Denn wir treten hier in eine neue Stufe: Es geht nicht gegen Personen, um das eigene Fortkommen oder das Auswischen.

 

Lust auf neue Inhalte

Auch wenn es noch komisch ist. Den Delegierten ging es tatsächlich um das, was wir immer wollten: Diskussionen um unsere Inhalte, die die Menschen da draußen bewegen, die uns voranbringen und Ideen im Wettstreit. Dass man sich manchmal die Mehrheit auf der eigenen Seite wünscht, sie aber nicht bekommt, ist da natürlich. Aber es ging diesmal nicht darum, andere zu demütigen oder die eigene Hausmacht zu sichern. Es gab schlichtweg nur viele Meinungen.

Ich sage: Diese Partei hat eine neue Lust auf diese Meinungen bekommen. Deswegen hat der sächsische Mitstreiter so getobt. Diese Partei ist bereit für die nächste Stufe an Inhalten. Sie ist groß, alt und behäbig. Parteitage noch nicht modern organisiert und die Methodenvielfalt noch dürftig. Aber das kann jetzt kommen. Sind wir wirklich unkritische Russlandfreunde? Wollen wir nicht doch ein Grundeinkommen? Wie halten wir es mit dem Laizismus?

 

Die „Soziale Revolution“

Diese Debatten stecken jetzt in den Kinderschuhen. Dass es etwa eine sehr junge Genossin war, die den Bezug auf die Sowjetunion hinterfragt und ihr ausgerechnet der Ü70 Wolfgang Gehrcke antwortet mit dem Verweis auf die Großelterngeneration, sprach doch für sich. Dass sie sich noch nicht durchgesetzt hat – geschenkt. Dieser Beschluss wird jetzt weder die Welt eine Bessere, noch die Partei untergehen. Aber die Debatte darum war ein Ausrufezeichen. Die außenpolitische Linie der LINKEN wird durch eine neue Generation geformt. Manche sehen darin auch Platz für Auslandseinsätze, andere nicht. Was auch bei rauskommt: Es wird eine ganz andere Außenpolitik.

Es mal wirklich auszudiskutieren, das ist mittlerweile der große Wunsch und nur wenige waren noch der Meinung, man müsse dies auf den alten Pfaden entscheiden. Das Hauptthema des Parteitags, das Soziale wieder nach vorne zu stellen und von einer „sozialen Revolution“ zu sprechen, ist auch ein Beispiel für den Aufbruch. Während die Medien etwas verwirrt fragten „Wieso denn nach vorne, das Thema war doch bei der der LINKEN schon immer vorne“ verblieb ihnen die eigentliche Erkenntnis.

 

Keine Gysirede

Sahra Wagenknecht wiederholte nicht ihre entgleisten Aussagen, sondern hatte große Lust, verstanden zu werden. Dietmar Bartsch polterte nicht gegen Regierungskritiker, sondern machte vor allem mal deutlich, wie fleißig und erfolgreich die Mini-Opposition im Bundestag ist, berichtete stolz von den Landtagsfraktionen und forderte einen größeren Fokus auf die Kommunalebene. Bernd Riexinger, der seine beste Rede aller Zeiten hielt, griff frontal die AfD und die Verhältnisse an und nicht angebliche Realos und Katja Kipping hatte gar keine Notwendigkeit, irgendwas in den eigenen Reihen zu kitten.

Das war im Übrigen auch der Grund, warum niemandem wirklich ein Gregor Gysi fehlte. Und das ist wohl die mit Abstand größte Überraschung. Wann immer bisher eine Krise war, alle Hoffnungen lagen stets auf „der Gysirede“. Er redete dann stets etwa eine Stunde der Partei ins Gewissen und dann ging es wieder halbwegs. Diesmal redet keiner in irgendjemandes Gewissen. Es war schlichtweg nicht nötig.

 

Konflikte bleiben

Deshalb ist es so neu, dass DIE LINKE das Soziale nach vorne stellt. Denn sie tut das mittlerweile wirklich. Themen sind kein Mittel zum Zweck, sondern man klebt mit Herzblut dran. Dadurch, dass das Niveau der Diskussion sich stetig, wenn auch noch langsam, hebt, kann DIE LINKE nur eine bessere LINKE werden.

Nun flüstern mir ja schon einige: Die Konflikte schwelen nach wie vor. Das mag sein und ob „Ruhe“ wirklich ein Ausdruck von einem guten Zustand ist, sollte wirklich bezweifelt werden. Aber diese Ruhe in den letzten Jahren hat es auch mal gebraucht. Aus meiner Sicht sind die Konflikte mittlerweile aber entpersonalisiert und dienen nicht länger dem personellen Machtkampf. Natürlich stehen Personen nach wie vor für bestimmte Inhalte. Aber der Hass ist weg.

 

Liebe und Nahrung

Fakt ist: DIE LINKE wird nicht zurückkehren zum Niveau von Essen, Rostock oder Göttingen. Sie hatte zwei Möglichkeiten und sie hat sich für die entschieden, die ihre einzige Zukunft war. Sie geht die neue Generation an und geht in den Angriffsmodus. Aber nicht nach Innen. Sie hat gelernt, dass man sich nicht erst in der Partei durchsetzen muss, damit die Revolution kommt. Sie will vielmehr mit der Gesellschaft und sich gemeinsam diskutieren, was denn wirklich die beste Idee ist.

Diese Partei ist wieder richtig spannend geworden. An die, die es heute persönlich (noch) anders empfinden: Ja, es gab noch Reste vom Alten. Ja, es war unglaublich holprig und unkoordiniert und hektisch. Ja, es wurden auch Fehlentscheidungen getroffen, denn es gab nicht genügend Raum zur Debatte. Aber es gibt jetzt die Basis, darüber nachzudenken, wie wir diesen Raum schaffen können. Noch besser: Es lohnt sich überhaupt, über Räume zu diskutieren. Während die Presse noch ganz überfordert ist, was sie außer über eine Torte schreiben soll: Diese Partei ist wieder verdammt spannend geworden! Nehmen wir es auch so wahr und nutzen wir den Moment. Unser Neugeborenes will Liebe und inhaltsreiche Nahrung. Und beides haben wir doch eigentlich zur Genüge.


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