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Sven Kindervater

#Sonntagsgedanken: Meins, deins, unser – Warum wir nicht über die Eigentumsfrage streiten

Ob in Neuenhagen oder Berlin, Hamburg oder Stuttgart: Der Kampf um Wohnraum, wem er gehören und was er kosten darf, spitzt sich zu. Nun fordert DIE LINKE die Entkriminalisierung von Hausbesetzungen. Doch warum wird das so breit abgelehnt?

Ob in Neuenhagen oder Berlin, Hamburg oder Stuttgart: Der Kampf um Wohnraum, wem er gehören und was er kosten darf, spitzt sich zu. Nun fordert DIE LINKE die Entkriminalisierung von Hausbesetzungen. Doch warum wird das so breit abgelehnt?

Es geht um Verbrechen. Es muss endlich was geschehen, alle sind sich einig, so kann es nicht weitergehen. Aber worin die Straftat eigentlich besteht – selten gab es so unterschiedliche Auffassungen.

Gestern hat der Parteivorstand der LINKEN beschlossen: „Wir sehen Instandbesetzungen von leerstehendem Wohnraum als ein Instrument von vielen zur Verwirklichung einer sozialen Wohnraumversorgungspolitik.“ Mit der Möglichkeit, länger als ein Jahr leerstehende Häuser zu besetzen, stehe ein „weiteres, wichtiges Element zur Bekämpfung spekulativen Leerstands“ zur Verfügung. Es geht also um Hausbesetzungen.

Allein bei diesen Zeilen bekommen viele Leute Schnappatmung. Eigentum, das weggenommen werden soll. Das geht gar nicht. Oder doch? Eifrig werden Anhänger von spontanen Sit-Ins in meist maroden Leerstands-Gebäuden zu echten Kennern des Grundgesetzes und zitieren §14 Abs. 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Ein Satz, der uns noch beschäftigen wird.

 

Grundgesetz hilf!

Aber zunächst einmal zu den neuen Staatsrechtwissenschaftlern: So schlau sich da mancher vorkommt, hätte es schon viel bewirkt, einfach nur eine Zeile weiter den §14 Abs. 3 zu lesen: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“

So sehr heutzutage gerne mal fabuliert wird, die Gründerväter und -mutter (war ja nur eine) des Grundgesetzes waren quasi Sozialisten und der §14 beweise dies, überschätzt die hohe Stellung eines ordnenden Staates hüben wie drüben in der Nachkriegszeit. Diese Stellung wurde in den 90ern und 00ern im Zuge der Privatisierung, der Deregulierung und der „marktkonformen“ Demokratie immer kleiner, aber an der Debatte um das Eigentum von Immobilien spitzt es sich nun wieder zu.

 

Der schwache Staat

Viele Menschen fordern dieser Tage wieder einen starken, ordnenden Staat. Manche sagen, mit den vielen Asylbewerbern würde bereits geltendes Recht dauerhaft gebrochen. Gerichte würden zu lasch urteilen, für manche Fälle bräuchte es eine Todesstrafe. Manche lehnen die Rechtsprechung der Bundesrepublik dann soweit ab, dass sie sich ihrer schlichtweg nicht zugehörig fühlen wollen und als Reichsbürger einer ganz neuen Ordnung unterstellen.

Dahinter steckt die Angst, dass der Staat nicht mehr für sie da ist, ihre Sicherheit und ihr Eigentum nicht ausreichend schützt und die Rechtsprechung nicht genügend Abschrecke. Ein Staat, in dem Krisen verursachende Banker und Autokonzern-Lenker frei herumlaufen, Schwarzfahrer aber im Gefängnis sitzen, der hat ein Erklärungsproblem. Denn im Ergebnis heißt es: Du bist nur geschützt, wenn du reich oder wichtig genug bist. Es ist kein Wunder, dass die allermeisten Reichsbürger hochverschuldet sind, keine Arbeit haben oder auf andere Weise im Konflikt mit Behörden und Staatsanwälten stehen.

 

Was wird aus meinem Auto?

Wenn nun zumeist linke Antikapitalisten (nennt man übrigens Antikaps und nicht Antifas) in Berlin und anderen Orten leerstehende Wohngebäude besetzen, dann trifft diese Maßnahme exakt in die Wunde der Willkürlichkeit und der Angst um das eigene Hab und Gut. Wenn du bereit bist, dem Einen das Haus wegzunehmen, was machst du dann mit meinem Besitz? Wir sind im Epizentrum der Eigentumsfrage – der wichtigsten Frage unserer Zeit.

In Online-Foren wird diskutiert, die Wohnungen würden als Spekulationsobjekt von Immobilienhaien (böse Tiere wirken immer) zweckentfremdet, sie gehören dem Wohnungsmarkt zurückgeführt. Die Mietpreisbremse habe versagt. Man müsse handeln. Schon entgegnet einer: Er habe sein Auto auch oft herumstehen – müsse er jetzt befürchten, dass dies eines Tages auch „besetzt“ wird? Schon postet jemand einen Artikel über den Unsinn, ein Auto noch privat haben zu müssen. Es schaukelt sich hoch.

 

Differenzierung ohne Grundlage

So kann diese Debatte nicht funktionieren. Was fehlt, ist die Differenzierung. Natürlich kann jeder, um beim Beispiel zu bleiben, ohne ein Auto leben. Ohne Wohnung geht es freilich nicht. Natürlich sollte kein Hausbesitzer Angst vor Zweckentfremdung haben. Aber gilt das auch für Hedge-Fonds, die mit Immobilienspekulationen die Krise der Währungen in der Null-Zins-Ära umgehen wollen, damit ihr Kapital nicht an Wert verliert? Es ist ja kein Zufall, dass seit der Finanzkrise von 2008 die Mieten in den Städten explodieren, überall teure Eigentumswohnungen aus dem Boden stampfen, Mieten sich dank „energetischer Sanierung“ mal eben verdreifachen und sich Fälle von Mieter-Mobbing häufen.

Aber wie kann Differenzierung stattfinden, wenn der Staat oft eher den wirtschaftlich Starken (aber sozial Schwachen!) stärkt und im Zweifel eher dem wirtschaftlich Schwachen schwächt? Wodurch soll ein Häuslebesitzer beruhigt schlafen können, wenn er sein Zimmer an AirBnB nur unter strengen Vorschriften vermieten darf, aber die große Enteignung gesellschaftlich-notwendigen Wohnraums ungehindert weiterläuft? Egal, wen man mit Hausbesetzungen glaubt zu treffen: Angst bekommen vor allem diejenigen, die seit Jahren immer nur gelernt haben: Schaffe dir dein kleines Glück an Eigentum und halte dich aus allem raus – sonst bist du der Nächste!

 

Trainierbahn enteignen?

Auch in Neuenhagen ist das zu spüren. Neuenhagen braucht die große Grünfläche der Trainierbahn. Eine Wohnbebauung dort verträgt die Infrastruktur nicht. Der Besitzer, die Rennbahn GmbH von Gerhard Schöningh, redet sehr undefiniert von einer Trainingsfläche für Pferde, obwohl seine bisherigen Anlagen kaum zu einem Drittel ausgelastet sind. Es ist unklar, was dieser Großgrundbesitzer hier vorhat. Es gibt aber ein Interesse der Allgemeinheit.

DIE LINKE in Neuenhagen hat immer gefordert, dass hier entweder im Sinne der Allgemeinheit vom Besitzer agiert wird oder in letzter Konsequenz die Gemeinde für eine entsprechende Ordnung sorgt. Auch hier sei das Grundgesetz zitiert, §28 Abs. 2: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung.“

 

Solidarisierung mit dem Kapital

Diese sogenannte „Planungshoheit“ bedeutet, dass mit Beschluss der Gemeindevertretung, bei Einhaltung der Gesetze, die Gemeinde jederzeit tiefe Eingriffe in privates Eigentum vornehmen kann. Aber auch hier bekamen es manche schnell mit der Angst: Wenn DIE LINKE erst dem Schöningh seine Pferdeanlage klaut, wann ist dann mein Grundstück dran? Wieder fehlte es an Differenzierung – und an Vertrauen in die Gesetze des ordnenden Staates.

Im Umkehrschluss passiert eine Solidarisierung mit dem Kapital. Bevor es mich treffen könnte, passiert hier mal lieber gar nichts. Manche unterstellen dann, dies sei verbunden mit dem Traum, selber einmal reich zu sein und dann auch nichts hergeben zu wollen. Das mag vereinzelt zutreffen. Aber im Kern hängt es wohl eher damit zusammen: Wenn es den Starken an den Kragen ging, folgte darauf die doppelte Bestrafung der Schwachen.

 

Eigentumsfrage auch in Neuenhagen wichtig

In Zeiten, wo manch Älterer gerne sein Haus gegen eine Wohnung in Neuenhagen tauschen würde, wo junge Familien von hier Geborenen nach ausreichend Wohnraum suchen, wo Grundstücke hunderte von Euro den Quadratmeter kosten, wäre die Eigentumsfrage und eine gesellschaftliche Debatte höchst angebracht. Aus Berlin fliehen Leute in den Speckgürtel, müssen lange Wege zur Arbeit in Kauf nehmen. Dort wiederum verdrängt es wieder Leute weiter in die Brandenburger Provinz ohne Bus und Post. Diese Spirale muss ein Ende haben.

Aber eines wird dieser Tage eben auch klar: Bevor man tatsächlich die Eigentumsfrage wieder ins Zentrum rückt, braucht es ein Vertrauen in den ordnenden Staat, vor dem jeder gleich ist und auf den man sich verlassen kann. Wenn es schon kein Vertrauen in die örtliche Verwaltung gibt, kann auch keine grundsätzliche Debatte erfolgen. Sonst obsiegt die Angst um das eigene, kleine Hab und Gut und alle reden am eigentlichen Thema vorbei. Und das führte noch nie zu etwas Gutem.


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