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Sven Kindervater

#Sonntagsgedanken: Du bist U25? Dann bitte regiere mich!

Es gibt in Geschichte der Bundesrepublik kaum eine Phase, wo eine gesamte politische Elite abgelehnt wurde, wie in diesen Tagen. Beliebt sind vielmehr Polit-Rentner wie Sanders, Corbyn oder Gysi. Doch während das Mittelalter den Protest nun zur Wahlurne trägt, bringt die Jugend ihn auf die Straße.

Es gibt in Geschichte der Bundesrepublik kaum eine Phase, wo eine gesamte politische Elite abgelehnt wurde, wie in diesen Tagen. Beliebt sind vielmehr Polit-Rentner wie Sanders, Corbyn oder Gysi. Doch während das Mittelalter den Protest nun zur Wahlurne trägt, bringt die Jugend ihn auf die Straße.

 

Man habe nun klare Verhältnisse. Sagt Olaf Scholz. Und meint damit den Mitgliederentscheid der SPD. Der kommissarische Vorsitzende der deutschen Sozialdemokratie lässt dieser Tage keine Kamera aus, um grimmig in sie hineinzublicken und alle Umfragen und alle Kritiker der Lüge zu bezichtigen und von stabilen Verhältnissen und einer tollen Regierung zu reden.

Olaf Scholz gehört einer Generation an, von der ich gehörig die Schnauze voll habe. Ich sage das so offen, wie es ist. Ich werde sie nonchalant das Mittelalter nennen. Bis zum heutigen Tag hat mich keine Generation so geprägt, wie sie. Sie hat mittlerweile die Führung in Politik und Wirtschaft übernommen. Und sie fährt dieses Land, seine Tradition und seine Zukunft, komplett gegen die Wand.

 

Die Lügen des Individualismus

In der Politik werden wir uns darüber sicher schnell einig. Die Staffelübergabe erfolgte symbolisch und personalisiert von Kanzler Kohl auf Schröder. Unter dem Agenda-Mann brach eine Welle der Entsolidarisierung los, wie sich der Kanzler der Einheit das nie erlaubt hätte. Deutschland mischte wieder mit in den Kriegen der Welt, bis heute gibt es jedes Jahr neue Rekorde bei den Waffenverkäufen und mit Hartz IV und Riester wurde die soziale Verantwortung auf das Individuum runtergebrochen.

Du bist arbeitslos? Dann hast du dich nicht genügend angestrengt – hier ist eine Weiterbildung, hier ein 1-Euro-Job, hier ein Ich-AG. Du bist krank? Zahl doch erst mal eine Praxisgebühr, nimm ein paar Psychopharmaka und geh auf Teilzeit! Du brauchst Unterstützung trotz 40-Stunden-Job? Der Trend geht ja zum Zweitjob und was ist eigentlich mit dem Erbe deiner Oma – ist das Kunst oder kann das weg?

 

Nichtstun als Ausdruck fehlender Alternative

Und während die Sozialdemokratie sich einmal ausverkaufte und die GRÜNEN zwischen Kriegstreiberei, Bioprodukten und besserer FDP eintrudelten, setzte die der kompletten Korruption überführte CDU auf eine vollkommen von Inhalten befreite Politik, perfekt verkörpert durch die stets nichtssagende Dr. Angela Merkel. Sie überlebte die Spendenaffäre deshalb, weil sie vorher schon für nichts stand und das sollte sich bis heute auch nicht ändern.

Ihr wird dieser Tage vor allem vorgeworfen, sie habe 2015 die Grenzen geöffnet. Aber nicht mal das stimmt: Sie waren offen, sie hat sie einfach nicht geschlossen. Sie hat mal wieder nichts getan. Sie hat aber auch das Land nicht darauf vorbereitet, was folgen sollte. So richtig es war, Menschen hier aufzunehmen, war das kein Akt der Nächstenliebe einer Pfarrerstochter. Es war praktiziertes Nichtstun. Der Hangar 6 des Flughafen Tempelhof konnte erst jetzt, fast drei Jahre später, leergezogen werden.

 

Wirtschaft und Politik stehen sich in Nichts nach

Und so geschieht das bei allen Problemen dieser Tage. Bankenkrise? Schauen wir doch erst mal, ob sich das wiederholt. Abgasskandal? Erstmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Altersarmut? Wir versprechen erst mal nur, dass was eh beschlossen ist: Das Rentenniveau bis 2025. Alles danach ist nicht mehr unser Problem. Wer heute in die Berufswelt eintritt, muss 45 Jahre kontinuierlich arbeiten und mindestens 3000€ verdienen, um im Alter von 1100€ leben zu dürfen. Nicht inflationsbereinigt, versteht sich.

Aber auch die Wirtschaft steht dem in Nichts nach. Im angesprochenen Bankenskandal waren es deutsche Finanzinstitute, die immer ganz vorne mit dabei waren. Ob bei der Ausplünderung Griechenlands, der Handel mit der Nahrung der Dritten Welt oder der Geldwäsche – Deutsche Bank und Co. gehören zu den womöglich größten Verbrechern unserer Zeit. Das zweite Standbein, die ebenfalls schon angesprochene Autoindustrie, wollte dem wohl in nichts nachstehen: Tierversuche, Softwarebetrug, Zukunftsverweigerung. Dieselgate statt Tesla. Aber vielleicht gib es ja wenigstens den Ehrenpreis vom ADAC.

 

Lieber den Toten zugewandt

Man kann über die Methoden der Vorgänger viel diskutieren. Die WM kam nur mit beckenbaurischen Schmiergeldern zu uns. Die Einheit würde nur mit der Lüge von blühenden Landschaften mehrheitsfähig. Und über die braunen Anfänge der Republik reden wir lieber erst gar nicht. Diese Methoden kommen auch nicht wieder, deren Aufarbeitung beginnt, die Lehren werden gezogen. Das ist gut so.

Aber heute wirbt ein Frank Henkel für Olympia vollkommen am Zeitgeist vorbei. Und weil es so schön war, macht es Schröder jetzt auch. Flughäfen und Bahnhöfe werden nicht fertig. Das Vertrauen der Bürger in die Verwaltungen ist am Ende. Und wehmütig schaut man zu den Verstorbenen wie Helmuth Schmidt, Willy Brandt oder ein Stéphane Hessel auf. Letzterer erreichte mit seiner Mini-Leitschrift „Empört euch!“ mehr junge Leute als „Ruft mal alle Martin, Martin“-Schulz auf allen Wahlveranstaltungen zusammen.

 

Die Lüge vom Glück durch Geld

Aber genug der Benennung von Fakten, kommen wir zu den Hintergründen. Besser gesagt, zu dem Hintergrund: Geld. Seit Ende der 1970er Jahre klar war, dass unser Wirtschaftssystem kein dauerhaftes Wachstum generieren kann und kurzfristige Impulse wie neue Märkte im Ostblock und Verlagerungen der Produktion nach Asien nicht den erhofften Aufschwung bieten konnten, geht es vor allem darum: Wenn das Wachstum nicht für alle gleich steigen kann, dann soll es das eben für wenige tun. Hauptsache man gehört dazu.

Nach diesem Credo spielte das Mittelalter fortan mit unser aller Leben. Die Erfüllung bestünde in der Freiheit und die käme durch materielle Absicherung, finanzielle Stabilität und Regelmäßigkeit im Erwerb. Heute stehen Menschen vor den Auswirkungen dieses Handelns. Nicht nur gehören sie zu den Verlieren des Neoliberalismus, sie müssen sich um das Wenige, was sie haben, auch noch mächtig Sorgen machen. Sie haben einen Wohlstand angehäuft, der ihnen nun unter den Fingern wegzubröseln beginnt und um den sie von nackter Angst befallen mit allen Methoden kämpfen.

 

Falsche Anreize zu falschen Lösungen

Im Großen sind der BER und Stuttgart 21 sinnbildlich. Der eigentliche Skandal vom Hauptstadtflughafen besteht darin, dass er zu klein ist und wohl dauerhaft durch Steuergelder finanziert werden muss. Dass man dieser Tage nach privatem Risikokapital ruft, zeugt von purer Hilf- und Ideenlosigkeit. Hintergrund war die Konkurrenz mit den als Unternehmen geführten Flughäfen Frankfurt/Main und München, die über geschickte Lobbyarbeit den großen Konkurrenten kleinmachten. Dass nicht mal der Brandschutz funktioniert, ist dann eher der Treppenwitz, verursacht von Gesetzen, die immer den billigsten Anbieter verlangen. In dem Fall die Firma im:tech aus Holland, die sich auf Verschleppung und Nachforderungen spezialisiert hat, mittlerweile Pleite ist und deren Gründer ab nach Südamerika verschwunden sind.

In Stuttgart ging es um die Schaffung von Bauland als Kapitalanlage. Der Bahnhof sollte unter Tage und Mercedes Benz obendrauf Immobilien bauen. Am Ende nichts weiter als eine Wertanlagen, die unabhängig von krisenanfälligen Währungen wie etwa dem Euro funktionieren soll. Das war in den 1990er en vogue beim Konzern mit dem Stern, baute man doch bspw. auch den Potsdamer Platz, der mittlerweile den siebzehnten Besitzerwechsel hinter sich hat und dieser Tage einem Hedgefonds aus Kanada und Südkorea gehört. Die schwäbischen Autobauer werkeln derweil am neuen Zentrum rund um die ehemalige o2-Arena, wo sich nun auch Zalando niederlassen wird. Schrei vor Glück!

 

Das Festhalten an der Lüge

Aber auch im Kleinen liegt die Lüge vom Wohlstand durch Sicherheit längst in Trümmern. Zum einen körperlich, denn diese Republik ist ausgebrannt, auf Drogen und der Krebs rafft uns alle nieder. Aber auch zerbrochene Ehen und eine zunehmende Vereinsamung können nicht einmal in den mittlerweile geschlossenen Eckkneipen besoffen werden. Einzig der Besitz ist noch da und Hartz IV und Co drohen unentwegt, auch das noch wegzunehmen.

Da ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn eine Partei Zufluss bekommt, deren Spitzenkandidatin Alice Weidel einst bei Goldmann Sachs gearbeitet hat und steuergünstig in der Schweiz lebt. Sie gehört zu denen, die dem System so brav gedient haben, dass sie zu den Siegern gehören darf. Sie verkörpert die Hoffnung, vielleicht doch nicht falsch gelegen zu haben. Jetzt tut sie sich zusammen mit Nazis, grantigen Greisen und den die-Welt-nicht-mehr-verstehenden Wirtschaftsprofessoren. Und sie tun das, was man als Reiche eben so tut: Man hetzt die Schwachen aufeinander, historisch erprobt anhand einer Religion und der Herkunft.

 

Das Wegfallen jeglicher moralischer Grenzen

Dahinter steht die ewige Verdammung des Armen. Hauptsache man wird es selber nicht, Hauptsache die eigenen Kinder betrifft es nicht, Hauptsache man kann sie von sich weghalten. Schmarotzer werden sie genannt. Mal, wenn sie obdachlos sind, mal wenn sie vor der Kaufhalle abhängen und arbeitslos sind und mal, wenn sie mit dem Handy vor dem Asylbewerberheim mit Zwölfmannzimmern stehen. Nach oben will man ja selber und deshalb geht es nur gegen die da unten.

Diese fehlende Empathie, dieses Wegfallen letzter moralischer Grenzen ist Ausdruck purer Verzweiflung. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass das Mittelalter für die junge Generation in diesen Tagen nicht zum glaubhaften Vorbild taugt. Jeremy Corbyn, Bernie Sanders und Gregor Gysi vereint nicht nur, dass sie um die 70 Jahre alt sind. Sie stehen für eine Generation, die noch nicht verroht ist. Bei denen die AfD keine Chance hat und die den Versuchungen des Kapitals standhaft geblieben sind. Auch sie sind wie Merkel übriggeblieben, aber eben dadurch, dass sie nie aufgehört haben, für ihre Moralvorstellung und Ideen zu kämpfen. Das Mittelalter hat hier ein nicht überbrückbares Glaubwürdigkeitsproblem.

 

Die Revolution der Generation Z

Die junge Generation macht aber noch was. Sie revolutioniert. Sie revolutioniert den Arbeitsmarkt mit 30-Stunden-Woche, mit Home-Office und Selbstverwirklichung. Sie revolutioniert die Wirtschaft mit Gemeinwohlökonomie und Bitcoin. Und sie revolutioniert den Freiheitsbegriff. Sie entsagt dem Streben nach Geld und ersetzt ihn durch Zeit. Sie entsagt der Tretmühle.

Aber auch hier gibt es eine Abstufung. Während die sogenannten Millennials, zu denen auch ich gehöre, noch den Weg zu sich gehen und Start-Ups gründen oder auf Selbstfindungstrip in Indien sind, zeigt die Generation Z uns allen den Vogel. In den USA sind es die Schüler, welche den größten Protest gegen Waffen aller Zeiten auf die Straße tragen. In der Asylkrise waren es neben den Rentnern auch vor allem die 20jährigen, die zupackten und sich den Nazis in den Weg stellten. Und zum Thema Grundeinkommen findet man neben ein paar liegengebliebene Alt-Ökonomen vor allem Teenies und Tweenies.

 

Nur Mut!

Sie alle wollen uns sagen: Eure Lüge von der Erfüllung durch Reichtum glauben wir nicht. Euren Hass auf Arme wollen wir nicht. Eure Abschottung nach Innen gehen wir nicht. Sie stellen offen die Macht- und Eigentumsfrage und verlangen Umverteilung. Auch wenn dieser Tage kurzfristig das Mittelalter mit aller Macht versucht, Deutschland rückwärtsgewandt auf dem Weg des Traumes vom Eigenheim zu halten und alles wegbeißt, was das gefährdet, wird die Zukunft letztlich von jenen gemacht, die wieder einen moralischen Wertekanon beherrschen, die echte Ideen haben und die Antworten auch in der Gesellschaft suchen und diese prägen wollen.

Wenn Sie mich fragen: Ich habe kein Bock auf diese Zukunft allzu lange zu warten. Vielleicht können wir Millennials ihnen hie und da den Weg ebnen. Aber hören wir auf, uns etwas vorzumachen. Das Mittelalter hat versagt und es wird uns nicht aus den Krisen führen. Ich möchte allen jungen Menschen zurufen: Nicht ihr seid es, die sich irren, auch wenn man euch das immer einredet. Bitte lasst euch nicht abhalten! Bitte seid klüger und mitfühlender! Bitte seid mutiger und gefestigter! Und bitte übernehmt die Verantwortung! Bitte regiert mich!


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