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Sven Kindervater

#Sonntagsgedanken: Bleibt alles anders

Die Verwaltungsstrukturreform erhitzt die Gemüter. Doch wo einige noch den Eindruck erwecken, man könnte das Rad zurückdrehen, hat das Land diese Reform längst nötig gemacht. Warum sich Politik nicht so wichtig nehmen und auf seine Kernaufgabe konzentrieren sollte kommentiert Sven Kindervater.

Die Verwaltungsstrukturreform erhitzt die Gemüter. Doch wo einige noch den Eindruck erwecken, man könnte das Rad zurückdrehen, hat das Land diese Reform längst nötig gemacht. Warum sich Politik nicht so wichtig nehmen und auf seine Kernaufgabe konzentrieren sollte kommentiert Sven Kindervater.

 

Ich werde heute mal was sagen, was niemand aus dem politischen Betrieb gerne hört: Der Einfluss von Politik auf das Leben der Menschen ist weit geringer, als viele es gerne glauben machen wollen. Gerade wenn große Reformen anstehen, wird damit von der einen Seite der Weltfrieden verkündet und von der Gegenseite ihr Untergang.

Dieser Tage wurde in Brandenburg ein Leitbild zu einer Verwaltungsstrukturreform verabschiedet. Diese Reform greift tief ein ins Herz der kommunalen Selbstverwaltung und auch in das Brandenburg, welches wir heute kennen. Sie greift ein in die Identität von Kreisen, in politische Entscheidungsprozesse und produziert jetzt schon enormes Konfliktpotential. Und wie nicht anders zu erwarten wird von Seiten der Regierung verkündet, mit der Reform habe Brandenburg eine großartige Zukunft und von der Opposition, dass damit das Land vor seinem Ruin stehe.

Was sich keiner getraut hat zu sagen: Die Veränderungen im Land kommen so oder so. Die Politik kann höchstens versuchen, sie zu gestalten, zu verschleppen oder zu beschleunigen. Das ist nicht wenig, aber es ist schlichtweg auch nicht mehr.

Wenn die CDU also nun behauptet, alle wollen das Brandenburg von 2015 auch noch 2030, mag sie damit in Straßenumfragen vielleicht Zustimmung erhalten. Sie blendet aber aus, dass das wenig mit dem Wandel im Land zu tun hat. Das einzige, was sich dieser Tage konservieren ließe, wäre eventuell die Politik selbst. Das interessiert das Land an sich aber herzlich wenig. Es entwickelt sich dann eben einfach ohne sie weiter.

 

Ein Widerspruch

Doch woher kommt dieser Wiederspruch zwischen dem Wunsch nach Konservierung in Umfragen und damit, wie die Menschen jeden Tag dieses Land weiterentwickeln? Ich erinnere mich da an ein Album von Grönemeyer, mein liebstes von ihm. Da singt er in einem Lied „Bleibt alles anders“ und verwirrte über Wochen Interviewpartner, die aus ihm rauskitzeln wollten, was er damit meinen könnte. Ich weiß nicht mehr, was er geantwortet hat, aber ich weiß, was es für Brandenburg bedeutet: Damit es morgen noch so ist wie gestern, muss es heute anders werden.

Die Politik ist von drei Aspekten umzingelt: Erhalt, Veränderung, Weiterentwicklung. Um ein Niveau zu halten, muss sie Dinge verändern und dabei gleichzeitig neue Entwicklungen, Ansprüche und Fehlerausbesserungen berücksichtigen. Ein gutes Beispiel ist dabei wie so oft unser schönes Neuenhagen. Seit der Wende verändert sich unsere Gemeinde unentwegt. Wo es einst Feldwege und eine Dorfschenke gab, haben wir mittlerweile 130km befestigtes Straßennetz und ein modernes Bürgerhaus mit 500 Sitzplätzen für Konzerte, Revuen und Tagungen.

Im Jahr 2005 kam es zu einem ersten Showdown derer, die den Ort weiterentwickeln und denjenigen, die den Ort konservieren, vielleicht sogar wieder etwas zurückbauen wollten. Mehr als Symbol ging es in einer Umfrage darum, ob wir das Stadtrecht beantragen sollten. Eine hauchdünne Mehrheit von wenigen Stimmen sorgte damals für eine Ablehnung. Die Begründungen lassen darauf schließen, dass es vor allem ein Nein zu Verdichtung, Verkehrszunahme und Modernisierung war.

 

Treppenwitz der Geschichte

Aber jetzt kommt die Geschichte wieder mit ihren Treppenwitzen: Den Ort hat das keine Sekunde daran gehindert, doch einfach eine Stadt zu werden. Wie Puzzleteile kamen Forderungen und Wünsche und leiteten den Zeitenwandel unweigerlich ein. Eine Drogerie sollte es ja schon geben und die Straßen sollten schon besser sein. Und ein paar mehr Häuser hie und da, was schadet das schon. Ach ja, eine Oberschule, das wäre was. Das Gymnasium bitte größer. Generell mehr für Jugend. Moderne Supermärkte mit kurzen Wegen, mehr Fahrradwege und Barrierefreiheit, Umgehungsstraßen, neue Kitas – aus dem individuellen Anspruch an „Hier möchte ich in Ruhe leben“ wurde in der Summe ein Wunschkatalog an „Hier möchte ich alles bekommen“.

In wenigen Jahren ist Neuenhagen eine lebendige Kleinstadt. Der Wunsch, hier zu wohnen, ist ungebrochen, der Ort wird weiterwachsen. Nun könnte man verlangen, „die“ Politik solle das nicht zulassen. Aber das ist ja genau die Ironie: Die Politik hat darauf gar keinen Einfluss. Vielmehr würde sie umgekehrt für ein Blockieren der Veränderungen massiv kritisiert. Als es jahrelang keine Einigung in der Causa Einzelhandelsstandort Eisenbahnstraße gab, was ja unmittelbar mit einer Verstädterung des Zentrums zu tun hat, schrieb der Seniorenverband, er fühle sich nicht mehr von der Gemeindevertretung repräsentiert. Und das sind wohl gemerkt die etwas älter Eingesessenen. Und wenn wir neue Häuser im Gruscheweg blockieren, dann werden die eben innerhalb des Ortes errichtet, indem Grundstücke verkauft und geteilt werden.

 

Der Kern der Kritik

So ähnlich kryptisch ist nun die Diskussion auf Landesebene: Die Kritik etwa bei Veränderungen der Kreise konzentriert sich auf völlig abstruse Gedanken. Kein Mensch soll mir erklären, er fühle sich so emotional mit Märkisch-Oderland verbunden – seitdem das Kennzeichen „SRB“ wieder erlaubt ist, sehe ich fast gar kein neues Auto mit „MOL“ mehr. Auch die Kreisfreiheit ist nicht das höchste historische Gut etwa von Frankfurt an der Oder.

Bei aller Kritik geht es doch im Kern vielmehr um Fragen der kommunalen Selbstverwaltung: Können wir noch über uns selber entscheiden, werden wir noch berücksichtigt, werde ich verstanden und unterstützt, wird sich nichts verschlechtern? Das sind einige zentrale Anliegen, die viele Gegner der Reform bewegen. Und die Antworten darauf sind nicht leicht. Aber es ist eben ein Irrglaube, dass die Konservierung des Status Quo eine positive Beantwortung der Fragen garantiert.

Doch während man im Politischen noch über Veränderungen diskutiert, werden sie im Land schon gelebt: Die Menschen in Brandenburg ziehen in den Speckgürtel oder die nächsten größeren Städte. Die finanziellen Mittel, Voraussetzungen für ein gutes „Weiter so“, werden nicht gehalten werden können. Und auch innerhalb von Verwaltungsapparaten haben sich Reformbedürfnisse angestaut. Damit es morgen noch so ist, wie es gestern war, muss es heute anders werden.

 

Der geringe Einfluss von Politik

„Einspruch“ sagte nun ein Abgeordneter im Landtag: Daran sei die Landesregierung ja aber selber schuld. Der Reformbedarf sei ja eben ein Ergebnis etwa von „Stärken stärken“, also dem SPD-Machwerk „Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg“, durch den vor allem die größeren Orte gefördert wurden. Und natürlich hatte diese Politik einen Einfluss. Aber: Der Einfluss ist deutlich kleiner, als man es in Wahlkämpfen bereit wäre, zuzugeben.

Neuenhagen etwa finanziert durch den Mehrbelastungsausgleich als Mittelzentrum von 800.000€ vorrangig das Bürgerhaus und das Freibad. Auch dürfen sich hier einige Gewerbe mehr ansiedeln. Aber nehmen wir mal an, das hätte es nicht gegeben: Wären Sie nicht nach Neuenhagen gezogen oder hiergeblieben? Wäre der Wunsch nach besseren Kitas, modernen Grundschulen und sicherer Verkehrsinfrastruktur ein anderer gewesen? Hätte den Ort, dem das Stadtrecht schon vollkommen egal war, irgendein Förderimpuls ernsthaft berührt? Na klar können wir nun hie und da Bisheriges weiter finanzieren, neue Vorhaben umsetzen und Wünsche erfüllen. Aber an der Richtung hätte sich doch nichts geändert!

 

Ein Problem für die Demokratie

Wenn Politik aber verkündet, für alles verantwortlich zu sein, ist das ein demokratie-theoretisches Problem. Vor einigen Jahren hörte man mehr und mehr, dass „die“ Politik bitte möglichst alle Probleme lösen solle. Spätestens seit 2015 ist das gekippt in ein „die“ Politik ist unfähig. Dabei steht sie vielmehr in der Verantwortung, die ständige Weiterentwicklung des Miteinanders so zu befördern, dass es möglichst sozial ausgeglichen, finanziell solide und ökologisch nachhaltig vorangeht. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Wenn Politik sich allerdings konserviert, befördert sie sich lediglich auf die Zuschauerränge: Die Veränderung kommt so oder so.

Wir haben als Politik ein massives Problem, wenn wir behaupten, wir könnten mehr, als den gemeinsamen Prozess demokratisch zu organisieren. Und wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir den Mehrwert und die Bedeutung dessen kleinreden. Der Bürger, der ja dieser Tage so oft alles lieber direkt und selber entscheiden will, merkt gar nicht, dass er bereits so vieles entscheidet. Er meckert über das Einzelhandelssterben, kauft aber bei Amazon. Er will weniger Verkehr, die durchschnittliche Autofahrt ist statistisch aber weniger als 5km und innerörtlich. Ein will seine absolute Ruhe, aber die Kinder sollen Spielplätze, Sportstätten und Skateparks in Wohnnähe nutzen können.

 

Moderne Diskussionsstrukturen

Und auch an der Verwaltungsstrukturreform ist von viel mehr Menschen gewollt, als sie es bereit wären zuzugeben. Ich habe heute bewusst nicht über die Details gesprochen, sicher gibt es da viel zu kritisieren, aber auch zu loben. In diesen Prozess sollte man sich einbringen. Er lohnt sich. Es ist das, was Politik kann: Die konkrete Ausgestaltung. Es geht dabei um Information, um Kommunikation, um demokratische Prozesse. Da liegt viel Arbeit vor uns und die sollten wir zu keinem Zeitpunkt scheuen. Dafür brauchen wir moderne und bürgernahe Strukturen und viele Kompromisse müssen gefunden werden. Dieses Miteinander muss von allen gefördert und gewollt sein, es nützt uns.

Doch heute ging es ja erst einmal um den Grundsatzbeschluss, das Leitbild. Und dieser Grundsatz war schlichtweg zu fällen. Ganz einfach, weil das Land diese Entscheidung schon lange vor der Politik getroffen hat. Das Übersichtliche am Gestern ist, dass es vorbei ist. Und nach meiner Erfahrung kommt das auch nicht wieder. Wenn sich drum herum alles ändert, müssen wir heute die Veränderungen wahrmachen, damit es morgen auch wieder so wird, wie es ist und vor allem sein soll. Denn: Es bleibt alles anders.


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