Diese Website verwendet Cookies.
Zum Hauptinhalt springen

Programmdiskussion mit Sahra Wagenknecht

Man musste schon rechtzeitig gekommen sein, um in der Aula der Gesamtschule Petershagen einen guten Platz zu ergattern - ein Glück, dass der Raum groß genug war und eine Empore hatte, sonst hätten einige der etwa 300 Gäste des Diskussionsabends buchstäblich ein Nachsehen gehabt. Die Veranstaltung hatten mehrere Ortsverbände der LINKEN organisiert, und so begrüßte der Moderator aus Neuenhagen den Vorsitzenden des gastgebenden Ortsverbandes Petershagen/Eggersdorf, den Bürgermeister des Ortes und natürlich auch die Anwesenden. Besonders aber wurde Sahra Wagenknecht willkommen geheißen, von der man zu Recht einige interessante Antworten erwarten konnte.

Es ging auch gleich zur Sache mit den Fragen, "...wieso hat der Kapitalismus schon wieder gesiegt, er sei doch gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Die Regierenden in der EU müssen keine Massenproteste befürchten, wohl aber den Zusammenbruch des Bankensystems und streiten sich dabei untereinander".

Die Antwort: Erholt hat sich bislang nur der Finanzsektor und das hauptsächlich in den USA. In Deutschland soll es der steigende Konsum richten. Der Aufschwung, der noch nicht einmal den vorangegangenen Abschwung kompensiert, wird so nicht anhalten - es gibt kein Zuwachs an Einkommen bei der Bevölkerung (wohl aber bei den Einkommensmillionären), und die Ungleichgewichte in der EU nehmen infolge der nichtgewollten Abstimmung der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu statt ab. Der brachiale Sparkurs, der den Krisenländern aufgedrückt wird erhöht deren Staatsschulden und verhindert so die wirtschaftliche Gesundung. Hier könnte nur ein drastischer Schuldenerlaß helfen. Das würde aber auch die Vermögenden treffen, mit deren Geldern die Banken sich so trefflich verspekuliert haben. Ende 2010 war die Gesamtschuldenlast der EU-Länder mit etwa 9,4 Billionen € genauso groß, wie die Summe des Bargeldvermögens auf den Konten der Banken. Also: Sparen hilft nicht, es ist nur die Ausrede der Regierenden, die nicht Hand an die Wurzel des Übels legen wollen - die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste.

"Das klingt doch plausibel, warum sträubt sich die Koalition dann so gegen eine Vermögensabgabe?" Zu dieser Frage gab es die Auskunft, dass ohne Druck von der Straße sich hier nichts ändern wird. In England wurde vor den Wahlen (!) eine 50% Besteuerung der Banker-Boni eingeführt, ohne dass der Finanzplatz verödete. In Deutschland könnten 90 Mrd. € durch die Vermögenssteuer eingenommen werden. Aber ohne Not wird die Politik es nicht machen - Klientel muss ja geschützt werden.

"Wie ist die Neuordnung des Bankensystems zu verstehen, die im Programmentwurf enthalten ist? Ist die Verstaatlichung der Privatbanken überhaupt möglich?" - Ja, nur bei öffentlichem Eigentum kann die Renditejagd wegreguliert werden. Der Finanzsektor ist ein öffentliches Gut. Es ist ein Skandal, dass die Deutsche Bank mit einem Eigenkapital von ca. 30 Mrd. € und 20 Mrd. € staatlichen Finanzhilfen immer noch als reine Privatbank agiert. Und so kann man es Herrn Ackermann nicht anlasten, dass er nur das Interesse seiner Aktionäre im Blick hat.

"Sollte man Geldvermehrung ohne reale Wertschöpfung verbieten? Soll der Staat die Wirtschaft vor den Banken schützen? Wie steht es mit der Transaktionssteuer? Kann man die Krise durch Wachstum überwinden? Sollte das Finanzwesen nur als gemeinnützig erlaubt sein?" - Auch hier klare Antworten: Die Loslösung der Finanz- von der Realwirtschaft führt zu Spekulationsblasen, die immer wieder platzen müssen und darüber hinaus Ressourcen verschlingen. Die Finanzwirtschaft muss sich auf ihren ursprünglichen Zweck - das Kreditwesen beschränken. Gerade hierbei haben sich die Bedingungen für kleine und mittelständige Unternehmen (KMU) seit den 90er Jahrten rapide verschlechtert. Nur eine andere Wirtschaftsordnung kann auch die Spekulation verhindern. Laut EMNID-Umfrage im Herbst 2010 sehen 80% der Befragten in einer anderen Wirtschaftsordnung den Ausweg aus der Krise - das sollten die LINKEN aufnehmen! Privateigentum - obwohl im Grundgesetz Art. 14(2) dem Allgemeinwohl verpflichtet (Anm. d. Autors) - und Gemeinnützigkeit ist bei den machtbestimmenden Großkonzernen nicht in Übereinstimmung zu bringen, bei KMU dagegen sehr wohl.

Eine Finanztransaktionssteuer von 0,05% würde 27 Mrd. €, bei 0,01% immer noch 12 Mrd. € bringen. Wird aber von der Koalition nicht gewollt, man will die Banken schonen ...

Wachstum ja, aber qualitativ. Die Lebensverhältnisse müssen sich dadurch verbessern. Wachstum nur zum Zwecke der Kapitalvermehrung - nein! Qualitatives Wachstum ist notwendig, um auch global die Lebensverhältnisse anzugleichen. Wollten wir das nur durch Umverteilung ohne Wachstum tun, wären wir schlecht dran. In dem Zusammenhang wurde ein Buch ("Gleichheit ist Glück" - Was Ungleichheit aus den Menschen macht. Richard Wilkinson und Kate Pickett erklären, warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Anm. d. Autors) erwähnt.

Weitere Fragen: "Sind Trennbanken hilfreich? Wie ist die Situation in Südamerika zu bewerten? Sollte die Beseitigung des Kapitalmarktes ins Programm aufgenommen werden? Wie sind Regionalwährungen ohne Zins und Zinseszins zu bewerten? Was ist zum bedingungslosen Grundeinkommen zu sagen?" - Trennbanken, d.h. Trennung des Kreditgeschäftes vom Investment, sind nicht wirklich eine Lösung, da sie über irgendein Dach doch wieder eine unsägliche Einheit bilden. Die Spekulation muss grundsätzlich verboten werden! Zu Südamerika: Eine Entwicklung, die unsere Solidarität verdient, aber nicht kopierbar. Zweitwährungen beseitigen nicht die Probleme der spekulativen Erstwährungsgeschäfte. Nicht der Zins ist das Problem, sondern die Wucherzinsen. Zins als Teil der Wertschöpfung aus Kredit in Realwirtschaft ist durchaus sinnvoll. Interessant in dem Zusammenhang: 650 Mrd. € Einnahmen aus Vermögenswerten sind 1/3 des Bruttosozialproduktes 2010 in Deutschland. Anstelle eines Kapitalmarktes ist ein Kreditmarkt zu schaffen.

Zum bedingungslosen Grundeinkommen stehe sie kritisch. Erwerbsarbeit ist Lebensinhalt und soll durch ein Recht auf Arbeit und vernünftige Löhne gesichert sein. Arbeit kann umverteilt werden, mehr Freizeit und gesellschaftliche Teilhabe sind möglich.

Nach 90 interessanten Minuten bedankten sich Moderator, Gastgeber und Teilnehmer herzlich bei Sahra Wagenknecht. Man ging auseinander mit dem Wissen, dass sich von allein nichts zum Guten wenden wird. Nur eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsform kann hier Veränderung schaffen. Da hat die LINKE noch viel Arbeit vor sich, sollte sich dabei aber nicht ganz alleine fühlen ...

Klaus Biedka


Themenbereiche

Friedenspolitik

Sozialpolitik

Kommunalpolitik

Öffentlichkeitsarbeit

Parteipolitik

Sonstige Beiträge

Zurück zum Themenbereich mit dem Browser-Button, zur Themenseite mit dem Zurück-Button links unten