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Nahost im Umbruch – Die Türkei auf dem Wege zur regionalen Ordnungsmacht?

Bericht vom 29. Neuenhagener Gespräch mit Prof. Dr. Karin Kuhlow

Die Arbeitsgruppe des Ortes der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e. V. hatte Frau Prof. Dr. Karin Kulow zum 29. „Neuenhagener Gespräch“ eingeladen. Die Nahost-Expertin sprach zum Thema: „Nahost im Umbruch – Die Türkei auf dem Wege zur regionalen Ordnungsmacht?“ 

Die Veranstaltung war trotz des miesen Wetters und der Dunkelheit zu dieser Jahreszeit sehr gut besucht. Das lag sicherlich nicht nur an der Aktualität des Themas, sondern auch daran, dass Frau Prof. Kulow durch ihre bisherigen Auftritte in diesem Forum als ausgewiesene, langjährige Nahostexpertin und überzeugende Rednerin bekannt war.

Eingangs stellte sie fest, dass die im Nahen Osten stattfindenden Prozesse es noch nicht gestatten, endgültige Aussagen zu ihrer Bewertung zu treffen. Zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation war das einfacher: Die Gesellschaften entwickelten sich entweder in sozialistischer oder kapitalistischer Richtung. Aber auf deutlich werdende Trends sei hinzuweisen:
Der politische Islam ist auf dem Vormarsch. Dieser erfolgt in Auseinandersetzung und zunehmender Verdrängung mit den arabischen Nationalisten. Der politische Islam ist gespalten in Sunniten und Schiiten, unter den Islamisten gibt es moderate und radikale Kräfte. Die Politik der westlichen Staaten passt sich dieser Entwicklung aus geostrategischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen an, selbst um den Preis, dass aus ehemaligen politischen Gegnern Verbündete werden und umgekehrt.

Ein weiterer Trend ist die Ausprägung regionaler Vormachtstellungen, dazu zählen: Saudi-Arabien und der Ministaat Katar, die Türkei, der Iran und wieder Ägypten. Israel ist durch seine Politik der Gewalt und der militärischen Drohungen „nicht mehr im Spiel“. Es ist in eine zunehmende internationale Isolierung geraten. Der von Israel angedrohter Atomschlag gegen den Iran fordert die arabische Solidarität heraus.

Frau Prof. Kulow äußerte vorsichtig die Hoffnung, dass die vorgesehene Neubesetzung des Pentagon-Chefs und des CIA-Direktors in den USA gewisse positive Auswirkungen auf den Nahen Osten haben könnten.

Ihren Darlegungen zur Türkei erfolgten unter zwei Gesichtspunkten: Der generellen Betrachtung und der Politik der türkischen Führung in der Syrienkrise. Die Türkei besitzt durch ihre Lage an der Schnittstelle zwischen Europa, dem Nahen Osten und Asien eine geostrategische Bedeutung. Mit 75 Mio. Einwohnern ist sie ein bevölkerungsreiches Land, dazu mit überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum. Die offizielle Politik geht davon aus, dass der Islam und die Demokratie kein Gegensatz sind, sondern miteinander vereinbar. Die Türkei will dafür beispielgebend sein. Aber nicht nur das, der Regierungschef Erdogan träumt von einer Wiedergeburt des Osmanischen Reiches.

Durch seine Politik, die beträchtliche Wirtschaftskraft, den Kapitalexport usw. strahlt dieser Staat zunehmend auf das Umland aus. Deutlich wird das auch im Bemühen, die Politik der arabischen Staaten international zu unterstützen. Für Erdogan gibt es in der Türkei keine kurdische Minderheit. In seiner Denkweise sind Kurden nur „Bergtürken“. Das hindert ihn aber nicht, mit den Kurden im Irak enge Beziehungen zu unterhalten.

In der Syrienfrage spielt die Türkei eine Schlüsselrolle. Beide Staaten haben eine 900 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Bisher gab es mit Syrien über 100 gemeinsame Regierungsabkommen. In dem Bestreben, jetzt und in Zukunft ihren Einfluss in Syrien zu erhalten und vergrößern, hat sich die türkische Führung sehr zeitig auf die Seite der syrischen Opposition geschlagen. Frau Prof. Dr. Kulow schließt die Möglichkeit eines Krieges, von wem auch immer provoziert, nicht aus. Schließlich geht es nicht nur um handfeste politische und wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die Erprobung neuer Waffensysteme der NATO, deren Mitglied die Türkei ja bekanntlich ist. In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr, dass auch Deutschland in eine bewaffnete Auseinandersetzung hineingezogen wird.

Den überzeugenden und mit Leidenschaft vorgetragenen Ausführungen folgte eine rege Diskussion mit sachkundigen Ergänzungen und die beiden Themen vertiefenden Fragen. Mit starkem, herzlichem Beifall wurde die Referentin verabschiedet und die Hoffnung auf eine spätere Fortsetzung des Gesprächs mit ihr geäußert.

Das nächste, 30.“Neuenhagener Gespräch“ findet am 20. März 2013 zum Thema statt: „China nach dem XVIII. Parteitag“. Gesprächspartner wird Dr. Wolfram Adolphi sein.

Erhard Dechnik

Schiiten   -   Sunniten (Sunna)                                                

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 90 Prozent der Muslime sich als Sunniten verstehen. Im Unterschied zu den Schiiten erkennen sie auch jene Nachfolger (Kalifen) des Propheten Mohammed als dessen rechtmäßige religiöse Nachfolger an, die nicht zu den Nachkommen des Propheten zählen.

Die Schiiten verstehen sich als Anhänger der Schia (arabisches Wort für "Partei"). Sie sind damit Anhänger des 4. Kalifen Ali Ibn Talib. Dieser war Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Die schiitische Glaubensrichtung teilt sich noch in weitere Strömungen auf.

In Kuwait zählt sich die Mehrheit der Muslime zu den Sunniten, während die Schiiten eine Minderheit bilden. Der Irak besitzt dagegen eine schiitische Mehrheit. Seine politisch herrschenden Eliten rekrutieren sich aber vor allem aus dem Kreis der Sunniten. Im Iran dominiert die schiitische Glaubensrichtung, die auch die islamische Revolution getragen hat.

Quelle:  Mitteldeutscher Rundfunk - MDR

 


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