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Ohne neue Impulse hat die PDS keine Perspektive

Brief des Vorsitzenden der PDS Lothar Bisky an die Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten

Brief des Vorsitzenden der PDS Lothar Bisky an die Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten

 

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

unmittelbar nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen machten Franz Müntefering und Gerhard Schröder den Vorschlag, den Deutschen Bundestag bereits in diesem Jahr neu zu wählen. Oskar Lafontaine erklärte, dass er für ein Bündnis von PDS und Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative zur Verfügung steht. Auf dem so genannten Kleinen Parteitag der PDS am 28. Mai wurde der Vorschlag positiv aufgenommen, mit der WASG in Gespräche einzutreten. Es folgten turbulente Tage.
In nur drei Wochen erzielten wir in wichtigen Fragen Einigungen, denen auch unser Parteivorstand zugestimmt hat:
- PDS und WASG wollen innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Prozess der Vereinigung gestalten und so ein erweitertes Projekt der Linken in Deutschland auf den Weg bringen;
- bei vorgezogenen Bundestagswahlen im Jahr 2005 werden beide Parteien nicht gegeneinander antreten;
- die PDS wird ihre Listen zur Bundestagswahl 2005 auch Mitgliedern der WASG öffnen;
- als ein Zeichen dafür, dass wir etwas Neues beginnen wollen, ist die PDS bereit, ihren Namen zu ändern und hat dazu eine außerordentliche Tagung des 9. Parteitages zum 17. 7. nach Berlin einberufen.
Mit all dem sind Emotionen verbunden und werden Traditionen berührt. Es geht um die Wahrung und die Entwicklung von Identitäten und vieles mehr. Klar war und klar muss bleiben, dass wir uns penibel im Rahmen der Parteien- und Wahlgesetzgebung der Bundesrepublik bewegen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Male vor einer großen Chance stehen. Die erste haben wir genutzt mit der Gründung der Europäischen Linkspartei. Die zweite Chance tut sich in der Bundesrepublik Deutschland auf. Man mag sie historisch nennen oder auch nicht. Aber sie bietet sich jetzt. So brauchen wir jetzt den Mut zur Entscheidung. Die Chance des Augenblicks besteht
1. darin, in Deutschland ein Zeichen zu setzen, dass sich die Linke nicht immer mehr splittet, sondern aufeinander zugeht;
2. darin, ein Beispiel dafür zu schaffen, dass etwas gleichberechtigt zusammenwachsen kann, was in Ost und West unterschiedliche Wurzeln hat und bis heute auch unterschiedliche Milieus repräsentiert und anspricht;
3. darin, in Deutschland links von der SPD eine Kraft zu konstituieren, die sich dauerhaft als drittstärkste politische Kraft erweisen kann.
All das potenziert sich zu neuen Chancen für eine auf soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie gerichtete Politik. Wir können unseren politischen Absichten größeres Gewicht verleihen, also dem, wofür es uns als Partei gibt. Alles das kann dazu führen, dass es erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland links von der SPD eine Partei gibt, die dauerhaft und bundesweit gesellschaftlichen Einfluss ausüben kann, die auch von vielen Menschen, die sie nicht wählen, zum akzeptierten Teil des politischen Spektrums gerechnet wird.
In diesen Tagen beobachten wir Akzentverschiebungen sozialdemokratischer oder rot-grüner Politik, zum Beispiel zu Löhnen und Abgaben. Das hat gewiss viele Ursachen, aber auch der verstärkte Druck von links gehört wohl dazu! Es ist der Druck einer Linkspartei, die bislang nur als Medienprodukt existiert.
Für mich ist auch klar: Ohne einen neuartigen Impuls hat die PDS keine dauerhafte Perspektive. Es gibt Mut machende Zeichen: Seit dem 23. Mai haben rund 500 Menschen allein im Berliner Karl-Liebknecht-Haus ihre Absicht erklärt, jetzt Mitglied der Partei werden zu wollen. Das ist in dieser Dimension einmalig in der Geschichte der PDS.
Wichtiges bringen wir in einen möglichen Vereinigungsprozess ein. Unsere Programmatik und unsere politischen Konzepte, unser Gestaltungsanspruch und unsere Erfahrungen gehören dazu. Meine feste Überzeugung ist, dass wir uns auf einen Weg begeben, auf dem die PDS an Kraft gewinnen kann, auf dem sie auch ihre besondere Verankerung im Osten Deutschlands nicht etwa preisgibt, sondern stärkt und dem Westaufbau weitere Perspektiven öffnet. Vergessen sollten wir überdies nicht, dass wir im Grunde angetreten sind, die Welt zu verändern. Das sollte die Fähigkeit einschließen, uns selbst zu verändern!
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
Gesprächsgruppen von PDS und WASG haben intensiv verhandelt. Wir sind fair miteinander umgegangen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben. Bisweilen war der Ton auch hart, einmal standen die Gespräche sogar kurz vor dem Abbruch. Da ging es um die Frage, zu welcher Änderung ihres Namens die PDS jetzt bereit sei.
Ich kann es verstehen, dass es für Mitglieder der WASG schwer ist, auf Listen einer Partei anzutreten, deren Name besonders im Westen nicht immer einen positiven Klang hat - ein Umstand, gegen den ich auftrete, dessen Existenz ich aber nicht bestreiten kann.
Ich weiß, wie groß die Zumutung für die WASG ist, jetzt faktisch auf das zu verzichten, weshalb sie sich als Wahlalternative gebildet hat, nämlich auf die eigenständige Kandidatur zur Bundestagswahl.
Wir wiederum haben in den Gesprächen immer deutlich gesagt, dass wir programmatisch am demokratischen Sozialismus festhalten und deshalb stets als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten handeln und handeln werden.
Der Parteivorstand schlägt dem für den 17. Juli einberufenen Parteitag vor, die PDS umzubenennen in »Die Linkspartei«. Die Partei wird den Zusatz »PDS« tragen, wobei die einzelnen Landesverbände über dessen Verwendung auf Landesparteitagen entscheiden. Ich gehe davon aus, dass die Landesverbände in Berlin und in den neuen Bundesländern den Zusatz »PDS« beschließen werden, und nehme an, dass das in einigen westdeutschen Landesverbänden anders sein wird. Dann ist auch klar, dass »PDS« in der Wahlwerbung und in vielen Ländern auf den Stimmzetteln auftauchen wird. Letzteres zum Beispiel als »Die Linkspartei. PDS Landesverband ...«, verbunden mit der denkbaren Kurzform »Links. PDS«. Also: Wir machen durch eine Namensänderung unseren Willen deutlich, unsere Identität erweitern und die Partei für noch mehr Menschen linker Einstellung öffnen zu wollen. Zugleich verschwinden die Buchstaben PDS nicht aus dem politischen Leben und der Öffentlichkeit dieses Landes. Wir betreiben keinen Etikettenschwindel.
Parteinamen wie »Linke« oder »Linkspartei« zur Bezeichnung politischer Kräfte, die eine kapitalismuskritische bis antikapitalistische Haltung haben, sind international durchaus üblich. Konkret betrachtet, dient die Charakterisierung als »links« solchen Parteien oder Organisationen dazu, sich von der Sozialdemokratie und ihren Parteien im jeweiligen Land zu unterscheiden. Beispiele sind die Linkspartei in Schweden, die Vereinte Linke in Spanien, Die Linke in Luxemburg, die Estnische Linkspartei oder die Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie (SYNASPISMOS) aus Griechenland.
Bei internationalen Zusammenschlüssen wird »links« verwendet, um die Vielfalt und pluralistische Zusammenarbeit solcher Kräfte zu kennzeichnen. Ein Beispiel ist die Fraktion Vereinte Europäische Linke im Europäischen Parlament, die es seit 1994 gibt, später mit dem Zusatz Nordische Grüne Linke (Abkürzung GUE/NGL), in der die PDS seit 1999 mitarbeitet. Ebenso die Partei der Europäischen Linken, die die PDS im vergangenen Jahr mitgegründet hat. Alle Parteien, die dort zusammenarbeiten, orientieren als langfristiges Ziel auf eine demokratische, sozialistische Gesellschaft.
Natürlich weiß ich, dass die Umbenennung vielen Mitgliedern und Freunden der Partei auch schwer fällt. Die größeren Möglichkeiten jedoch, die sich damit verbinden, scheinen mir den Kompromiss nicht nur erträglich, sondern zwingend notwendig zu machen. Über einen endgültigen Namen der aus dem Vereinigungsprozess hervorgehenden Partei müssen wir uns in den nächsten zwei Jahren noch gemeinsam verständigen.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals ein neues politisches Projekt so viel Aufmerksamkeit gefunden hat, bevor es offiziell auf den Weg gebracht wurde. Das belegt ein Blick in die Zeitungen. Es waren mit einem neuen Projekt auch nie so viele Erwartungen verbunden. Das belegt ein Blick auf die aktuellen Umfragen. Ganz augenscheinlich sehen viele Menschen hier eine reale Gegenkraft zur scheinbar alternativlosen rot-grün-schwarz-gelben Politik. Und natürlich wird ein Wahlvorschlag viele Wählerinnen und Wähler ansprechen, der mit den Namen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi verbunden ist und mit weiteren Namen verbunden sein wird, die für eine Politik sozialer Gerechtigkeit stehen.
Ein neues Projekt ist ohne Risiko nicht zu haben. Aber ich sehe zuerst die Chancen! Deshalb werbe ich dafür, dass wir zur Bundestagswahl 2005 unsere Listen öffnen. Deshalb werbe ich dafür, diesen Prozess zu verbinden mit einer Namensänderung. Deshalb werbe ich für eine Vereinigung von PDS und WASG, die auch offen für andere ist. Diese Vereinigung sollten wir in den nächsten zwei Jahren anstreben und dazu nach der Bundestagswahl 2005 eine Urabstimmung durchführen.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich bitte euch, den Vorschlag des Parteivorstandes an den Parteitag in euren Basisgruppen zu erörtern und das Vorhaben einer neuen Linken in Deutschland engagiert zu unterstützen.

Mit solidarischen Grüßen
Lothar Bisky

 


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