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Mein Chef Gorbatschow

Angeregt von einer Rezension im ND las ich das Buch und war erschüttert: Der einstige Hoffnungsträger und auch heute noch, allerdings nur außerhalb Russlands, geachtete Gorbatschow war nur der selbstverliebte Zauberlehrling, zudem sich leider kein Meister fand, um das von ihm angerichtete Chaos zu beheben.

So jedenfalls sieht es der Autor Nikolai Ryschkow, der von 1985 bis 1991 unter Gorbatschow Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR war und belegt seine Sicht durch die Schilderung bisher unbekannter Interna. Welchen Einfluß charakterliche Schwächen von Führungspersonen und das Wirken des Westens auf den Zerfall der Sowjetunion hatten, belegt folgende Passage:

"...So erklärte Bill Clinton auf einer geschlossenen Sitzung des Vereinigten Komitees der NATO-Stabschefs am 25. Oktober 1995:
In den letzten zehn Jahren hat die Politik gegenüber der UdSSR und ihren Verbündeten überzeugend die Richtigkeit des von uns eingeschlagenen Kurses zur Beseitigung einer der stärksten Weltmächte und eines sehr starken Militärblocks bewiesen. Durch Ausnutzung von Fehlern der sowjetischen Diplomatie, der außerordentlichen Selbstgefälligkeit von Gorbatschow und seiner Umgebung, darunter auch jene, die offen eine pro-amerikanische Position eingenommen haben, haben wir erreicht, was Präsident Harry S. Truman mit der Sowjetunion mittels der Atombombe vorhatte..."

Wenn Gorbatschow Oberflächlichkeit, Inkonsequenz und sogar Verrat vorgeworfen wird, stellt ihn sein Widersacher Jelzin mit seinem Populismus und absoluten Machtanspruch noch in den Schatten. Das Zustandekommen der GUS als Ergebnis eines gewaltigen Saufgelages der Präsidenten Rußlands, der Ukraine und Weißrußlands im Belowescher Wald und das Telefonat, das Jelzin mit Bush sen. am Morgen darauf führte (Gorbatschow in Moskau war von all dem nicht informiert, worüber Jelzin sich gegenüber Bush brüstete), offenbart "die ganze Nichtswürdigkeit Jelzins als Mensch und als Staatsfunktionär, der für seine persönlichen Interessen zu jeder Niedertracht, jeder Intrige und jedem Verrat bereit war".

Wenn der Leser über Rolle und Bedeutung von einzelnen Personen nachdenkt, so wird anhand diese Buches deutlich, dass es nicht immer die Besten sind, die den Gang der Geschichte nachhaltig beeinflussen.

Ryschkow führt u.a. als Gründe für den Zerfall der Sowjetunion an: Überhastete Wirtschaftsreformen, wachsender Egoismus und Zwietracht, die unter den Sowjetrepubliken gesät wurde. Sein Wirken in dieser Zeit stellt er dar als Vertreter eines langsamen Übergangs von der Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft, als Befürworter eines starken Zentrums im gleichberechtigten Zusammenwirken mit den Republiken. Als solcher fand er bei Gorbatschow kein Gehör und bei den auf ihre persönliche Macht fixierten "Landesfürsten" Jelzin und Co. schon gar nicht.

Auch das Volk ging den vom Westen protegierten Populisten auf den Leim und erwartete nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft und dem Verschwinden der führenden Partei, dass mit der Marktwirtschaft nun das goldene Zeitalter anbricht. Das tat es dann tatsächlich, aber nur für eine Handvoll des 240 Millonen Volkes, der Rest musste sich berappeln und tut es bis heute. In etwas milderer Form ist das weiter westlich ja auch so gelaufen und läuft weiter so ...

Ein wesentliches Element im Zerfall der Sowjetunion war das Problem der nationalen Egoismen. Dass das auch eine Gefahr für die EU ist, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Wohin es führen kann, dafür sollte der Untergang der Sowjetunion aber als Warnung verstanden werden.

Wenn Ryschkow auch in vielen Analysen zuzustimmen ist, bleibt beim Lesen doch die Frage, ob er mit seinen Ansichten in den Jahren 85-91 allein gewesen ist. Mitstreiter jedenfalls nennt er keine. So bleibt er als der einsame Rufer in Erinnerung.

Trotzdem, es ist ein lesenswertes Buch.

Klaus Biedka


Nikolai Ryschkow

Mein Chef Gorbatschow - Die wahre Geschichte eines Untergangs

Das Neue Berlin, 2013

ISBN 978-3-360-02168-7

16,99 €

 

 ddmmyy


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