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Gedanken zur Befreiung von Dr. Erich Siek

Frühjahr 1945: Der Krieg war vorbei, auch für uns Deutsche. Keine blutigen Schlachten mehr mit Tausenden von Opfern an so vielen Fronten eines verheerenden Krieges, keine Fliegeralarme und Bombenteppiche mehr, keine unmenschlichen Befehle für Frauen, Greise und Halbwüchsige mehr. Das Ende eines verbrecherischen Regimes, das die halbe Welt mit Terror und Krieg überzogen hatte.

Die Deutschen, die es nicht vermocht hatten, den barbarischen Faschismus im eigenen Land am Gewinn der Macht und an Aggression und Krieg zu hindern, die zu Mittätern geworden waren und schließlich auch zu Mitopfern des von ihnen ausgegangenen Systems der Gewalt und Unterdrückung, atmeten auf und schöpften zaghaft Hoffnung auf ein anderes Leben ohne Krieg, ohne Ausbeutung und ohne Angst aber mit Gerechtigkeit für jedermann und der Möglichkeit eines neuen Anfangs in Frieden und Freiheit.
Auch in Neuenhagen, am Rande Berlins, des letzten großen Schlachtfeldes des 2. Weltkrieges in Europa, waren die Menschen erleichtert und glücklich, dass sie überlebt hatten. Aber noch mussten sie die Folgen des barbarischen Krieges und einer menschenverachtenden Diktatur erleiden: Hunger, Mangel an fast allem Lebensnotwendigen, Wohnungsnot, moralische Verwilderung und Geringschätzung von Menschenleben, Besatzung durch den militärischen Sieger. Es war noch Krieg nach dem Einmarsch der Roten Armee in Neuenhagen am 22. April 1945 – und Flüchtlingselend – über 2000 Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten und aus deutschen Siedlungsgebieten aus der Sowjetunion mussten untergebracht und versorgt werden.
Viele verängstigte, von 12 Jahren Naziherrschaft beeinflusste, oft teilnahmslose Menschen, glaubten damals nach dem 8. Mai, der Kapitulation Nazideutschlands, nicht, dass es um mehr ginge als um das Ende von Töten und Blutvergießen. Von vielen wurde noch nicht gesehen, dass dieser 8. Mai tatsächlich mehr war, nämlich ein Tag der Befreiung (und nicht nur der Deutschen) vom grausamsten Terrorregime der menschlichen Geschichte und von einer Bedrohung für die gesamte menschliche Zivilisation.
Es war auch die Befreiung der Deutschen von sich selbst, von ihrem eigenen selbstverschuldeten Schreckensregime. Und es war eine Chance, ein solches totalitäres System und seine Ideologie über seine militärische Niederlage hinaus an seinen ökonomischen, politischen und ideologischen Wurzeln zu packen und endgültig zu beseitigen. Diese Chance musste ergriffen, der Versuch der Schaffung einer neuen, veränderten und besseren Welt musste im Interesse einer friedlichen Entwicklung gewagt werden.
Die Hoffnungen, Sehsüchte und Wünsche der Menschen auf dauerhafte und echte Befreiung gingen – wie wir nach 60 Jahren Nachkriegsentwicklung feststellen müssen – trotz großer Anstrengungen vieler Menschen nicht in Erfüllung, noch nicht.
(„Im Gespräch“ 5/05)

Dr. Erich Siek


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