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Lothar Bisky

Enteignung im Rahmen offizieller Regierungspolitik

Rede des PDS Vorsitzenden Lothar Bisky auf dem 9. VDGN-Verbandstag

Rede des PDS Vorsitzenden Lothar Bisky auf dem 9. VDGN-Verbandstag

Liebe Verbandsmitglieder, Herr Präsident, verehrte Gäste,

zuerst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, daß Sie mich zum 9. Verbandstag eingeladen haben und ich die Gelegenheit habe zu sprechen.

Bekanntlich gehört die Enteignung kleiner Besitztümer zum Wesen kapitalistischer Produktion.
Die bundesrepublikanische Marktwirtschaft bildet da keine Ausnahme.
Doch wir erleben hier eine bemerkenswerte Variante:
Diese Enteignung geschieht nicht nur durch die sogenannte „unsichtbare Hand des Marktes". Hier wird sie im Rahmen offizieller Regierungspolitik durchgesetzt. Ich muß Ihnen das nicht im einzelnen auffächern. Die Bewohner in den Neuen Bundesländern, vor allem solche, die ein kleinwenig Eigentum in die deutsche Einheit mitgebracht haben, wissen, wovon ich spreche.
Ich erinnere hier nur stichpunktartig an die Erben von Bodenreformland, die Betroffenen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes, die sogenannten Modrowkauffälle.
Die Enteignung der Kleinen ist aber nicht unvermeidbar und schon gar nicht irreversibel.
Das Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Januar gesprochen hat, zeigt: Sich wehren, lohnt.

Wie Sie sich vorstellen können, haben wir uns in der PDS sehr über dieses Urteil gefreut. Auf die Umsetzung darf man noch gespannt sein.

Verehrte Anwesende, die Bundesregierung hält es nicht so innig mit den Interessen kleiner Eigentümer. Sie hält sich wohl eher an die großen. Die Vermögenssteuer erklärt sie für tot. Große Vermögen werden geschont, große Einkommen immer weiter entlastet. Zugleich bewegen und befürchten kleine Haus- und Grundbesitzer und selbst Pächter von Erholungsgrundstücken und Kleingärten drohende Folgen von Hartz IV Was ist ein angemessenes Hausgrundstück? Zählt nur die Größe oder doch auch Lage und Ausstattung wie im bisherigen Sozialhilferecht? Unter welchen Bedingungen muß immobiles Vermögen beliehen oder verwertet werden?

Und noch grotesker entwickeln sich all diese Fragen: Zählen bauliche Anlagen auf fremdem Grund und Boden zum Vermögen und müssen auf dem Antragsbogen für das Arbeits-losengeld II angegeben werden? Wie kann es sein, daß auf der einen Seite diese Bundesregierung ins Schuldrechtsanpassungsgesetz schreibt, daß die Verwertung von Baulichkeiten auf fremdem Grund und Boden für den Nutzer praktisch unmöglich wird, auf der anderen Seite diese aber als zu berücksichtigendes Vermögen beim Antrag auf ALG II gelten sollen. Ein Vermögen, das nicht nur nicht realisiert werden kann, sondern bei Pachtende in den Besitz des Grundeigentümers übergeht, ist keines.

Doch das ist noch nicht das Ende dieses vermögenspolitischen Wahnsinns:
Was hat sich die Bundesregierung eigentlich gedacht, als sie die entschädigungslose Enteignung von Garagen ab 2007 und von Baulichkeiten und Ausstattungen ab 2022 bei Beendigung der Pacht beschlossen hat? Und nun soll nach neuerlich höchstrichterlichen Urteilen das auch ganze Kleingartenanlagen betreffen. Sollen etwa die Kommunen auf diese Weise für ihre von derselben Regierung zu verantwortenden klaffenden Haushaltslöcher entschädigt werden?

Ich sage es ganz klar: Die PDS schließt sich an dieser Stelle den Forderungen von Betroffenen nach Novellierung des Schuldrechtsanpasungsgesetzes an - als einzige größere Partei, meines Wissens.

Ich komme noch einmal zum bestimmenden Thema unserer Tage zurück: Es gibt viele gute Gründe, Hartz IV abzulehnen. Wie übrigens auch Hartz I-III. Am Anfang dieser sogenannten Arbeitsmarktreform stand das Versprechen, mittelfristig die Zahl der Arbeitslosen halbieren.
Aus heutiger Sicht kann man diese Versprechen schon als Lügen kennzeichnen.

Wir lehnen Hartz 1-IV aus vielen Gründen ab. Das ist bekannt. Wir kritisieren die Repression, die Rechtlosigkeit Arbeitssuchender, und wir kritisieren die schleichende Enteignung, die mit dem ALG II genaugenommen eine individuelle, bedarfsgerechte Grundsicherung unterläuft. Wenn Vermögen, die zur Absicherung des Alters oder gegen Notzeiten mühsam angespart wurden, aufgebraucht werden müssen, wenn Haus-, Wohnungs- oder Grundbesitz, der letztlich demselben Ziel dient, und sogar Baulichkeiten von Wochenendgrundstücken und Kleingärten zur Verwertung oder Beleihung herangezogen werden sollen, dann wird soziale Sicherheit in Größenordnungen vernichtet. Eigentümer von Wohngrundstücken und Pächter von Wochenendgrundstücken und Kleingärten ächzen unter hohen Abgaben und Beiträgen. Vielfach bringt sie das gegen die kommunale Verwal-tung auf.

Aber das Problem ist umfassender. Die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben trocknet die öffentlichen Kassen aus und beschränkt kommunale Handlungsspielräume. Gleichzeitig steigt der Kapitalverwertungsdruck, der sich gegen die öffentliche Daseinsvorsorge richtet.

Sie werden mir gestatten, daß ich hier kurz einen Bogen zur ganz großen Politik spanne.
Die Verhandlungen zum GATS (dem allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) und die Bolkenstein-Richtlinie der EU-Kommission zur Errichtung eines europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen sollen genau in diese sensiblen Bereiche hineinwirken: in die Leistungs- und Kostenstruktur und in die Möglichkeiten von Transparenz und demokratischer Kontrolle im Bereich öffentlicher Dienste - und glauben Sie mir: nicht zum besten.

Verehrte Anwesende, mit der „Siedlungsentwicklung von unten" werden sie sich auf der heutigen Beratung befassen. Ich finde das richtig und notwendig, denn „Siedlungsentwicklung von unten" heißt nicht: Jede und jeder setzt sein Interesse gegen andere durch, ein Nachbar gegen den anderen, Grundbesitzer gegen Pächter, Eigenheimbewohner gegen Mieter, partikulare Interessenvertretungen gegen die Kommune, private Anbieter gegen öffentliche usw. Sondern es heißt: Die Gestaltung unseres Lebensumfelds ist Gegenstand eines demokratischen und solidarischen Aushandlungsprozesses von uns allen, und Sie können dazu wirklich etwas beitragen. Wenn wir das aber wollen, dann brauchen wir nicht noch mehr privatisierte Dienstleistungen, sondern eine Stärkung und eine Demokratisierung des öffentlichen Sektors:

  • mehr demokratische Mitbestimmung in der kommunalen Haushaltsaufstellung und Haushalts- durchführung,
  • mehr demokratische Kontrolle in den öffentlichen Versorgungsunternehmen,
  • transparente und moderate Preisgestaltung.

Das wäre der Weg zu einer deutlichen Entlastung der Nutzer in und außerhalb von Kleingarten-anlagen und zu einer selbstbestimmten Nutzung von Dienstleistungen.
Um solche Spielräume wieder zu eröffnen, ist aber auch der politische Wille notwendig, die kommunalen Finanzen zu stärken. Und da bin ich nochmals bei der großen Politik.
Wir wollen nicht, daß die Kleingärten aus unseren Landschaften verschwinden. Sie gehören nicht nur zum gewohnten Landschaftsbild, sie erfüllen eine wichtige ökologische, eine oft unterschätzte kulturelle und eine soziale Funktion. Vielleicht könnte man ja behaupten, in den Kleingartenanlagen lebt ein Stück demokratischer Sozialismus, Chancen für die Erprobung von Selbstverwaltung, praktische ökologische Erfahrungen wie Ressourcenschonung und gemeinsinnstiftende Erlebnisse ...
Na ich will es nicht übertreiben, aber die Parzelle als kleinbürgerliche Nische zu klassifizieren, das ist wirklich schon lange überholt. Auch Wochenendgrundstücke sind nach unserer Auffassung kein Auslaufmodell. Sie gehören mit zu den erhaltenswerten Rechten, die die Bürger der DDR in die Bundesrepublik eingebracht haben. Aufgabe des Einigungsvertrags war es, diese Rechte zu erhalten und nicht zu liquidieren. Dafür brauchen wir politisches Engagement - für eine Neudefinition des Eigentumsbegriffs, für die wir uns einsetzen. Dafür haben auch Sie sich versammelt, dafür bin ich gern zu Ihnen gekommen. Hier haben wir gemeinsam, wenn wir uns so verabreden, viel vor uns.
Danke.

Lothar Bisky


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