Diese Website verwendet Cookies.
Zum Hauptinhalt springen

Das 30. Neuenhagener Gespräch

Ein Bericht von Erhard Dechnik

Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V. sprach der ausgewiesene Chinaspezialist Dr. Wolfram Adolphi am 20. März 2013 im Bürgerhaus Neuenhagen zum Thema: China nach dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Einleitend verwies er anhand internationaler Statistiken, dass das Deutschlandbild in China viel ausgeprägter und positiver ist, als umgekehrt das Chinabild in Deutschland. Dieser Unterschied ist nicht nur mit Fakten zu erklären, sondern beruht auch wesentlich auf einer negativen, oft sogar feindlichen öffentlichen Berichterstattung in den Medien der BRD. Die ehemaligen DDR-Bürger kennen diese Art der Berichterstattung selbst zur Genüge. So werden der Öffentlichkeit die vierzigjährigen Beziehungen der DDR zur Volksrepublik China verschwiegen und die Dinge so dargestellt, als gäbe es deutsch-chinesische Beziehungen erst mit der heutigen BRD.

Auf die innere Entwicklung Chinas eingehend, verwies Dr. Adolphi darauf, dass diese seit der Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 unter Mao Zedong nicht kontinuierlich verlief. Erst Ende der 70er Jahre setzte mit der Reformpolitik von Deng Xiaoping ein Aufschwung von bisher nicht gekannter Größe ein. China ernährt mit 7 % der Ackerfläche 22 % der Weltbevölkerung. Auch die Lebenserwartung der Menschen ist inzwischen von 36 auf 72 Jahre gestiegen. China befindet sich in einer Phase des bescheidenen Wohlstands für immer breitere Bevölkerungsschichten. Für Europa und die USA ist China ein wichtiges Exportland geworden und mindert die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise in diesen Ländern. Auch im Vergleich zu Indien liegen die wichtigsten Steigerungen wesentlich höher. So wuchs das Bruttoinlandsprodukt in China pro Jahr von 2000 bis 2008 um 10,4 %, in Indien um 7,1 %. Das Wachstum des Haushaltseinkommens der ärmsten 20 % der Bevölkerung betrug in China im genannten Zeitraum 8,5 %, in Indien nur ein Prozent.

In den letzten Wochen erfolgte nach 10 Jahren die planmäßige Staffelübergabe an die neue Führung der KPCh. Sie steht vor großen Herausforderungen. Es sind vor allem drei: Erstens die zunehmende Lösung nicht geringer sozialen Probleme, zweitens die Veränderungen bisheriger Entwicklungsformen und ihre Anpassung am neuesten Stand der Produktivkräfte sowie drittens die Bekämpfung der noch stark verbreiteten Korruption.

Bei der Bewertung der vor den Chinesen stehenden Probleme, so betonte Dr. Adolphi, sollten wir uns immer die gewaltigen Dimensionen ihrer Lösung vor Augen halten: Es geht nicht um 80 Millionen Einwohner wie Deutschland, auch nicht um die Bevölkerung Europas oder dessen Territorium, sondern um weitaus andere Größenordnungen. Die in diesem Riesenreich bestehenden Widersprüche sind weitgehend das Ergebnis einer nachholenden Entwicklung. Dazu kommen jedes Jahr für uns kaum vorstellbare Naturkatastrophen der verschiedensten Art.

Wer, wie im Ausland oft behauptet wird, glaubt, die chinesische Führung kenne die Sorgen und Probleme der Bevölkerung nicht, der irrt sich gewaltig. Aus der Sicht des Referenten gibt es zahlreiche Ansatzpunkte für die Lösung anstehender Probleme, jedoch der Zeitraum ihrer Realisierbarkeit ist auch unter der neuen Führung noch offen. Eine weitere Zuspitzung der inneren Spannungen in der Volksrepublik schloss Dr. Adolphi deshalb nicht aus.

Auf die kapitalistische Entwicklung in China eingehend, verwies er auf die von Lenin konzipierte und von Stalin abgewürgte Neue Ökonomische Politik (NÖP) in Sowjetrussland, die bei ihrer Realisierung auch eine Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente zur Folge gehabt hätte.
Als Bestandteil des „Sozialismus chinesischer Prägung“ nannte Dr. Adolphi die Führung durch die Kommunistische Partei Chinas mit ihren 90 Millionen (!) Mitgliedern, die Verbindung von Kerngedanken des Marxismus-Leninismus mit den chinesischen Gegebenheiten und die Bewahrung der Kernfelder der Wirtschaft in staatlicher Hand.

Es geht um die strategische Auseinandersetzung zwischen dem Modell des angelsächsischen Kapitalismus und dem chinesischen Gesellschaftsmodell. Die entwickelten kapitalistischen Staaten lagern einen Großteil ihrer Probleme auf die ärmeren Erdregionen aus und betreiben hierzu eine aggressive Militärpolitik. Beides lehnt die chinesische Führung ab. China nimmt seinen Platz als Großmacht selbstbewusst ein und betreibt eine zurückhaltende Außenpolitik.

In der anschließenden lebhaften Diskussion wurden Aspekte der Haltung Chinas in der Tibetfrage, zu Syrien, zu den nationalen Minderheiten im Land und den chinesischen Reflektionen aus dem Zerfall der Sowjetunion und ihrer Verbündeten erörtert.

Mit wiederholtem Beifall dankten die Anwesenden Dr. Wolfram Adolphi für seine, mit großer Leidenschaft vorgetragenen, Ausführungen, für seinen eigenständigen Beitrag zu einem aktuellen und realistischen Chinabild und äußerten den Wunsch auf eine weitere Begegnung.


Erhard Dechnik


Hier geht's zur Fotogalerie der Veranstaltung ... ddmmyy


Beiträge im Archiv

können nach Jahr oder

nach Jahr und Monat gefiltert,

oder aber über einen Suchbegriff im Suchfeld gefunden werden

Zurück zum Filterergebnis mit dem Browser-Button, zu neuer Auswahl mit dem Zurück-Button links unten