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Brief von Dr. Helmut Markov - Mitglied des Europäischen Parlamentes

an bekannte und unbekannte Fragesteller zu seinem Abstimmungsverhalten zur "Kuba-Resolution" und zur Versachlichung der Diskussion


an bekannte und unbekannte Fragesteller zu seinem Abstimmungsverhalten zur "Kuba-Resolution" und zur Versachlichung der Diskussion 

Dr. Helmuth Markov

Mitglied des Europäischen Parlamentes

 

Betrifft: Ihre/Deine Kritik an meinem Abstimmungsverhalten zur „Kuba-Resolution“ am 2.2.2006

 


Sehr geehrter Herr, sehr geehrte Dame, lieber Genosse,

zunächst möchte ich mich für Deine/Ihre Meinungsäußerung hinsichtlich meines Abstimmungsverhaltens zur „Kuba-Resolution“ bedanken. Es passiert leider nicht oft, dass die Arbeit der Europaabgeordneten so intensiv in der politischen Basisarbeit in Deutschland wahrgenommen wird. Umso erfreulicher ist es, dass die Arbeit ab und an von der Basis reflektiert wird.

Weniger erfreulich sind einzelne Reaktionen. Nicht, weil dort die Entscheidung meinerseits und meiner KollegInnen kritisiert und für falsch befunden wird. Nicht erfreulich sind vielmehr die Unterstellungen, scharfen Angriffe und persönliche Verletzungen, die teilweise mit der – häufig pauschalen – Kritik verbunden sind.

Ich sehe mich deshalb veranlasst auf einige mir wesentliche Punkte einzugehen /1/.

Erstens (Kampf gegen Sanktionen)

 

Meine Entscheidung ist im Zusammenhang mit Entstehungsprozess der Resolution zu betrachten. Wie bekannt ist, hatte die GUE/NGL-Fraktion im Vorfeld der Abstimmung – so wie bei vielen anderen Gelegenheiten zuvor –, nicht zuletzt durch einen eigenen Antrag (siehe Anlage), versucht, ein differenzierteres Bild über Kuba zur Abstimmung zu bringen. Der eigene Antrag kam nicht zur Abstimmung, dennoch konnte ein Rückfall auf den Stand vor 2004 durch intensive Verhandlungen verhindert werden. Damals forderten die Konservativen die Fortsetzung der Sanktionen der EU gegen Kuba.

Als es nunmehr im Februar 2006 um eine weitere Kuba-Resolution ging, die im übrigen einen konkreten Anlass hatte, konnte durch die Mehrheit von Sozialdemokraten, Grünen und Linken verhindert werden, dass – wie von den Konservativen gefordert – die Sanktionen gegen Kuba wieder eingeführt werden.

Insofern stellen die Bemühungen, das Agieren der Fraktion einen Beweis dar, dass die Fraktion und ein-zelne Abgeordnete durchaus die Situation in Kuba, die gesellschaftlichen Errungenschaften und Erfolge kennen und anerkennen. Gleichzeitig leugnen oder verdrängen wir nicht die Problematik, die mit dem politischen System, der Regierung und der Gesellschaft ebenfalls einhergeht.

Zweitens (konkrete Positionierung)

Wir waren im Februar mit einem konkreten Problem konfrontiert: Das Europäische Parlament hat den „Damen in Weiß“ /2/  aus Kuba im Dezember 2005 den Sacharow-Preis für geistige Freiheit /3/ verliehen. Unsere Fraktion hatte eine andere Kandidatin für den Preis vorgeschlagen, die Entscheidung zur Vergabe des Sacharow-Preises ist mit Mehrheit vom Europäischen Parlament getroffen worden.



                                                                                                

/1/ Ich wähle diese Form der Beantwortung Ihres/Deines Schreibens, weil die Fülle der Reaktionen aus organisato-rischen Gründen diese vielleicht etwas unpersönlichere Art der Beantwortung nötig macht. Hinzu kommt, dass die Kritik in den vielen Schreiben, die in den letzten Tagen bei mir eingegangen sind, sich vielfach wiederholt bzw. ähnelt. Für die Form der Antwort hoffe ich auf Verständnis.

/2/ Die „Damas de Blanco“ sind Ehefrauen und Familienangehörige der zumeist im Rahmen des „kubanischen Frühlings“ 2003 verhafteten und verurteilten Regimekritiker. Die „Damas de Blanco" treten für die Freilassung ihrer Familienangehörigen sowie für freie Meinungsäußerung auf Kuba ein. Jeden Sonntag demonstrieren sie friedlich in Havanna zur Kirche. Der weißen Kleidung, die sie tragen, verdanken sie ihren Namen. Sie soll sowohl Frieden als auch die Unschuld ihrer inhaftierten Ehemänner und Familienangehörigen symbolisieren.

/3/ Seit 1988 verleiht das Europäische Parlament den Sacharow-Preis an verschiedene Personen oder Institutionen. Eine Reihe dieser Preisvergaben wurden auch durch die linke Fraktion im Europäischen Parlament unterstützt und befürwortet (Kofi Annan, Nelson Mandela u.a.). Näheres zum Sacharow-Preis findet man im Internet unter www.europarl.eu.int




Die Preisträgerinnen konnten an der Zeremonie jedoch nicht teilnehmen, da die kubanischen Behörden immer neue administrative Hürden aufbauten, welche eine Ausreise unmöglich machten. Die „Damen in Weiß“ wurden von Blanca Reyes, einer Exilkubanerin, vertreten. Sie ist die Ehefrau eines aus der Haft entlassenen, der das Land verlassen musste. Sie nahm den Preis jedoch nicht entgegen, da die „Damen in Weiß“ wünschen, dass ihnen der Preis von einer Delegation des Europäischen Parlaments in ihrer Heimat in Kuba übergeben wird.

Vergleichbare Situationen gab es bereits 1990 als Aung San Suu Kyi, die die Wahlen in Birma im Jahr 1990 gewonnen hat und von dem Militärregime in Rangun unter Hausarrest gestellt wurde, den Sacharow-Preis erhalten hat und nicht ausreisen durfte, sowie 1995 als Leyla Zana, die bis 2004 in der Türkei im Gefängnis saß, den Preis erhielt. Unsere Fraktion und natürlich die Abgeordneten der PDS-Delegation haben sich in beiden Fällen mit großem Engagement für die beiden Sacharow-Preisträger eingesetzt und natürlich darauf gedrängt, dass sie die Preise auf einer feierlichen Sitzung des EP in Empfang nehmen können. Das Europäische Parlament hat sich allein in der vergangenen Legislaturperiode 14mal kritisch zur Situation von Aung San Suu Kyi geäußert und der Menschenrechtssituation in Birma scharf kritisiert, in weit mehr als 20 Resolutionen und Text ging es um Leyla Zana und die Menschenrechtssituation in der Türkei.

Es ist nur natürlich, dass das Parlament sich in einer Stellungnahme zur Verweigerung der Ausreise für die Sacharow-Preisträgerinnen äußert.

Meine Zustimmung zur Resolution steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Vorgängen um die Sacharow-Preisträgern. Dabei geht es nicht nur schlicht um die Verweigerung der Ausreise. Die Prob-lematik liegt in der Gewährung und Wahrnehmung von international anerkannten Menschen- und Grundrechten, die das Europäische Parlament in diesem Fall einfordert.

Drittens (Universalität der Menschenrechte und der Umgang in der Partei)

Im Kern geht unsere Auseinandersetzung der letzte Tage um einen alten Streit in der Linken, ob die Verurteilung von Verletzungen von demokratischen und Menschenrechten in anderen Ländern eine Einmi-schung in innere Angelegenheiten ist oder nicht. Es geht um die Befürchtung, dass die Kritik an Verlet-zungen von demokratischen und Menschenrechte für andere politische Zwecke instrumentalisiert wird.

Ich will daran erinnern, dass es einer der wesentlichsten Bestandteile des Gründungskonsenses der PDS war, von der Universalität von Menschenrechten auszugehen. Das wurde in allen unseren Parteiprogrammen seit 1990 verankert. /4/

Universalität von Menschenrechten bedeutet die Einheit sozialer und kollektiver, politischer und individueller demokratischer und Menschenrechte. Das hat zur Konsequenz, Menschenrechte nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch beim politischen Freund einzufordern. Würden wir in unseren Positionen zu Menschenrechtsfragen, die im Parlament einen hohen Stellenwert haben (Unterausschuss für Menschenrechte, jährliche Berichte zur Situation der Menschenrechte in der EU und in der Welt, monatliche Dringlichkeitsdebatten, Sacharow-Preis) mit zweierlei Maß agieren, würden wir unsere Glaubwürdigkeit überall dort schmälern, wo es ganz besonders wichtig ist, der Verletzung der demokratischen und Menschenrechte ein Ende zu setzen. (Türkei, Irak, USA etc.)

In der Präambel unseres Parteiprogramms heißt es unmissverständlich: „Uns eint der unumkehrbare Bruch mit der Missachtung von Demokratie  und politischen Freiheitsrechten, wie sie in und von nicht wenigen linken Parteien, darunter der SED, praktiziert worden sind.“ An anderer Stelle wird festgestellt: „Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.“ Politische  Freiheit gilt auch und gerade für den Kritiker und Gegner, oder sie gilt nicht. Das ist eine Lehre aus unserer eigenen Geschichte. Nur wenn wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen haben wir eine Chance, dass die sozialistische Idee in der Gesellschaft wieder akzeptiert und als Alternative zur heutigen Gesellschaft erkannt wird.


/4/ An dieser Stelle verweise ich auf die Rede von Michael Schumann auf dem SED/PDS-Parteitag am 16.12.1989:

„Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System!“, welches wohl mit Fug und Recht als grundlegend für die Partei bezeichnet werden darf. (Die Rede befindet sich im Anhang)



Wer Freiheit und Demokratie angesichts der US-Bedrohung Kubas als sekundär und als Gefahr für die Sicherheit des Sozialismus ansieht, denkt meiner Meinung nach zu kurz. Sozialismus kann mit einer wie auch immer gearteten Missachtung oder Geringschätzung von individuellen Freiheitsrechten nicht über-leben. Individuelle politische Freiheitsrechte mögen anderen angesichts der „Sache“ der Revolution als untergeordnete Frage erscheinen. Für mich sind sie Kern unseres Lernprozesses, des erwähnten Bruchs mit der SED-Politik und sozialistischer Erneuerung. Ich meine es ist unsere Verantwortung als Freunde Kubas, die Entwicklungen mit Sorge sehen, kritisch anzusprechen.

Dass die Einhaltung von demokratischen und Menschenrechten ein wichtiges Kriterium für die Entwicklung der Beziehungen der EU zu Drittstaaten geworden ist, ist eine Errungenschaft, die wir mit aller Konsequenz verteidigen sollten. Für Kuba gilt hier nichts anderes als für die Türkei, die USA, China und alle anderen, obgleich wir natürlich um die besondere Situation in Kuba wissen.

Selbstverständlich ist es auch unsere Verantwortung dafür zu Sorgen, dass die Kritik an Problemen in Kuba nicht missbraucht wird, um Kuba politisch und ökonomisch zu isolieren oder innenpolitisch zu destabilisieren. Für uns im Europäischen Parlament heißt das, dafür zu sorgen, dass die EU, statt Sanktionen einzuführen, den Dialog und die Zusammenarbeit mit Kuba entwickelt und ihren Einfluss in den transatlantischen Beziehungen geltend macht, um eine Änderung der US-amerikanischen Kuba-Politik zu erreichen.

Viertens (Verhältnis zum Partei- und Wahlprogramm)

Mir wird z.T. vorgeworfen, mit der Zustimmung zur Resolution hätten wir gegen das Partei- und das Wahlprogramm verstoßen. Ich sehe uns, die wir für die Resolution gestimmt haben, im Einklang mit dem Parteiprogramm und dem Europawahlprogramm. Beide Dokumente gehen von der Universalität von Menschen- und Bürgerrechten aus.

Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel – eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, gegen patriarchale Unterdrückung, gegen die Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger ihre Angelegenheiten demokratisch regeln.

Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität, Emanzipation, Gerechtigkeit, Erhalt der Natur und Frieden untrennbar miteinander verbunden sind. Die sozialistische Idee ist durch ihren Missbrauch als Rechtfertigung von Diktatur und Unterdrückung beschädigt worden.

Die Erfahrungen der DDR einschließlich der Einsicht in die Ursachen ihres Zusammenbruchs verpflichten uns, unser Verständnis von Sozialismus neu zu durchdenken.“  /5/


/5/ Programm der Linkspartei.PDS: I. Sozialismus – Ziel, Weg und Werte


Im Europawahlprogramm von 2004 heißt es: „... Wir wollen eine Europäische Union, in der Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicherheit gesichert sind, wo Kriminalität bekämpft wird, ohne die Grund- und Menschenrechte zu verletzen, wo das Grundrecht auf Asyl auf höchstem internationalen Standard garantiert und Zuwanderung nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung unserer Gesellschaften betrachtet wird.“

Warum soll dieses Prinzip, welches hier für die EU gilt, nicht auch das Prinzip sein, nach dem wir über die Grenzen der EU sprechen und agieren?

Darüber hinaus wird im Europawahlprogramm auch an anderen Stellen, freilich auch in anderen Zusammenhängen, auf das Prinzip der strikten Unteilbarkeit der Menschenrechte verwiesen.

Die Beziehungen zu Kuba sind folgendermaßen im Europawahlprogramm beschrieben:

„... Die PDS setzt sich für eine Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Kuba ein. Von der EU erwarten wir, dass sie sich auf der Grundlage der jüngsten Voten der UN-Vollversammlung für die Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba ausspricht und die Helms-Burton-Gesetze zurückweist. Ferner fordern wir, dass die EU ihren 1996 gegenüber Kuba bezogenen Gemeinsamen Standpunkt revidiert. Wie jedes andere Volk hat auch das kubanische Volk das Recht auf Selbstbestimmung.“ Meines Erachtens beweist unser Verhalten in den vergangenen Jahren, die wir im Europäischen Parlament agieren, ebenso wie das jüngste Abstimmungsverhalten, dass wir genau in diesem Sinne für Kuba eintreten. 


Fünftens (Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte überall)

Die Unteilbarkeit der Menschenrechte darf insbesondere für eine linke Partei nicht nach politischer Opportunität ausgelegt werden. Was für unsere Haltung bezüglich Menschenrechtsverletzungen in Deutschland, in der EU, in den USA und der übrigen Welt gilt, muss demnach auch für uns nahestehende Länder gelten. Und darauf muss verwiesen werden können. Und es muss an jeder Stelle verwiesen werden dürfen.

Natürlich decken wir auf und kritisieren wir konsequent, wenn konservative, liberale und sozialdemokratische Kräfte in ihrer opportunistischen Doppelmoral ihren Mund auf machen, wenn es um Menschen-rechtsverletzungen in dem einen Fall geht, ihre Augen aber bei Menschenrechtsverstößen in dem anderen Fall verschließen. Auch dafür lassen sich Beispiele aus unsere Arbeit im Europäischen Parlament finden.

Ebenso haben wir uns immer gegen die Verunglimpfung des Kommunismus gewandt, wo immer dies auf europäischer Ebene durch Resolutionen, Erklärungen oder anderen Beschlüssen geschehen sollte bzw. geschah. Diesbezüglich verweise ich auf die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden Francis Wurtz zur Anti-Kommunismusresolution des Europarates.

*

*     *

Die Bemühungen im Vorfeld der Abstimmung im Europaparlament, der Anlass der Abstimmung und der Text selber in deren Zusammenhang gesehen, haben mich/uns nach langwieriger Abwägung vieler Argumente veranlasst, der Resolution zu zustimmen. Ich bin der Auffassung, dass auch an dieser Stelle das Menschenrechtsgebot gelten muss (und dies auch wenn wir durchaus eine kritische Haltung gegenüber den im Resolutionstext genannten Dissidenten und den dort nicht genannten Oppositionellen haben).

Ich bedauere es und mich verwundert sehr, dass die kubanische Parteiführung die Delegation der Linkspartei ausgeladen hat. Ich fände es verständlich und nachvollziehbar, wenn sich die Ausladung auf die drei Abgeordneten bezöge und nicht auf die gesamte Parteidelegation, denn so wäre es möglich gewesen, die Standpunkte darzulegen und die Fragen der Solidarität und Zusammenarbeit dennoch zu beraten. Es ist allerdings auch ein Ausdruck eines unterschiedlichen Parteienverständnisses, wenn die Partei für das konkrete Verhalten von Abgeordneten verantwortlich gemacht wird.

Ich hoffe, ein wenig zur Versachlichung der Debatte beigetragen zu haben. Wir Abgeordneten haben uns die Abstimmungsentscheidung nicht leicht gemacht. Letztlich ist es ein Ergebnis eines komplizierten Abwägungsprozesses. Politische Entscheidungen in einem Parlament, gleich auf welche Ebene, sind nicht nach einem Schwarz-Weiß-Muster zu treffen. Ich habe mich bislang, in diesem Fall und werde mich auch in Zukunft um differenzierte Entscheidungen bemühen.

Mit freundlichen Grüßen

gez.Helmuth Markov

Oranienburg/Brüssel, 21. Februar 2006


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