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Aus der Geschichte für die Zukunft lernen: Wir tun uns schwer damit!

Denkmal im Januar 2010
Denkmal im Sommer 2009
Inschrift rechte Seite 2009
Postkarte Neuenhagen mit Heldengedenkstein

Heinz Scharf, Februar 2010

Kennen Sie eigentlich den Neuenhagener Platz der Republik?

Einmal im Jahr waren Sie sicher schon dort, wenn zum Sommer- oder Oktoberfest Bratwürste ihren Duft in die Umgebung schicken, die Geräuschkulisse trinkfester Männer aus dem mächtigen Bierzelt den grossen Platz einhüllt, neugierige Leute sich am Kunst und Kitsch an den aufgestellten Ständen erfreuen, Tanz- oder Musikaufführungen auf einer steinernen Bühne stattfinden.

Heinz Scharf, Februar 2010

Kennen Sie eigentlich den Neuenhagener Platz der Republik?

Einmal im Jahr waren Sie sicher schon dort, wenn zum Sommer- oder Oktoberfest Bratwürste ihren Duft in die Umgebung schicken, die Geräuschkulisse trinkfester Männer aus dem mächtigen Bierzelt den grossen Platz einhüllt, neugierige Leute sich am Kunst und Kitsch an den aufgestellten Ständen erfreuen, Tanz- oder Musikaufführungen auf einer steinernen Bühne stattfinden.

Eine steinerne Bühne?

Was zunächst so aussieht und auch oft so benutzt wird, ist etwas ganz anderes und diente einem humanistischen Zweck:

Nämlich der Erinnerung an 108 Neuenhagener, die für „Kaiser und Vaterland“ im ersten Weltkrieg ihr Leben opfern mussten.

Als ich Mitte Januar 2010 die Annenstrasse in Neuenhagen bei Berlin entlang ging, bemerkte ich zufällig, dass an der steinernen Rückwand des Denkmals auf dem angrenzenden Platz der Republik ein rot-weisses Absperrband gezogen war.

Neugierig geworden, ob hier möglicherweise denkmalsfördernde Arbeiten an dem historischen, aber leider vernachlässigten Objekt begonnen haben, ging ich auf die Vorderseite. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass das genaue Gegenteil der Fall war:

Die rechte der drei Namenstafeln war herausgebrochen und in der dahinterliegenden Wand klafften grosse Löcher.

Abgesehen von den fast „normalen“ Schmierereien in Neuenhagen, die auch das Denkmal nicht verschonten, waren hier Täter am Werk, die sich vorsätzlich mit entsprechenden schweren Werkzeugen ausrüsteten und unter Nichtachtung einer vom Lärm verursachten möglichen Entdeckung planmässig ein Symbol zerstörten. Geld und Wertgegenstände waren hier ja nicht zu holen.

Wie kann so etwas passieren? Wer steckt hinter dieser Tat? Welche Botschaft wird hier gegeben?

Um einer Beantwortung eine mögliche Richtung zu geben, versuche ich, Ihnen etwas aus der Geschichte des Platzes und des Denkmals zu berichten. Dabei nehme ich gern die Hilfe Dr. Erich Sieks in Anspruch, der akribisch Dokumente über das Denkmal archiviert hat und ebenso die von Paul Lucht, Bürgermeister bis 1989 in Neuenhagen.

Als der Platz angelegt wurde, nannte man ihn zunächst „Wolterplatz“.

Am 18. August 1913 wurde er dann von den kaisertreuen Neuenhagener Honoratioren zum „Wilhelmplatz“ umbenannt. Die Nationalsozialisten gaben ihm 1933 den Namen „Platz der SA“.

Erst in der Nachkriegszeit, am 26. April 1948, erhielt er seine heutige Bezeichnung „Platz der Republik“.

Für unseren geschichtlichen Exkurs ist das Jahr 1924 bedeutsam. Am Karfreitag, den 18. April, wurde der Grundstein für das Denkmal auf dem „Wilhelmsplatz“ gelegt und eine Urkunde eingemauert, die Auskunft gibt über die Beweggründe der Gemeinde zur Errichtung dieses Denkmals und über die mit ihm Geehrten.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 fügte der Gemeinde Neuenhagen schlimme Wunden zu, 108 ihrer Einwohner mussten ihr Leben auf dem Schlachtfeld lassen. Ihnen und ihren Familien eine Erinnerungsstätte zu geben und der Nachwelt die Folgen von solchen Kriegen immer wieder vor Augen zu führen, war das Anliegen der Gemeinde Neuenhagen mit ihrem damaligen Gemeindevorsteher Thormann.

Am Schluss der Urkunde, in der alle 108 Gefallenen namentlich aufgeführt sind, wird daran erinnert, dass

„Nach der Verwüstung durch die Hussiten 1432, nach der Feuersbrunst von 1521, die alle Häuser in Asche legte, nach den Drangsalen des Dreissigjährigen Krieges, der Plünderungen durch die Russen 1760, der französischen Invasion 1806/08 (hat) kein Ereignis unseren Ort so hart mitgenommen (hat), wie der Weltkrieg. Tote, Verwundete und Krüppel haben wir zu beklagen; wir haben gehungert und unsere Kinder leiden sehen, haben Brot, Fleisch, Fett und andere Lebensmittel auf Karten zugeteilt erhalten, haben nach dem Kriege viele Arbeitslose unterstützen müssen und sind durch die Entwertung des Papiergeldes arm geworden.

Möge nachfolgenden Geschlechtern ein besseres Geschick beschieden sein.“

Gleichwohl war die Gestaltung des Denkmals natürlich durch den Zeitgeist bestimmt. Die Gefallenen werden als Helden betrachtet, denen auf dem „Wilhelmsplatz“ dieses wuchtige, aus Rüdersdorfer Kalksteinquadern gemauerte, im Hintergrund von Pappeln beschirmte Denkmal errichtet wurde. Ein mit einem Stahlhelm bewehrter Kopf eines sterbenden Kriegers krönt die Denkmalsmauer.

Obwohl Deutschland diesen Ersten Weltkrieg verloren hatte, das Kaiserreich abgedankt und die Erste deutsche Republik in Weimar ausgerufen wurde, waren die Kräfte nicht verschwunden, die sich nach den alten Zustände einschliesslich der durch den Vertrag von Versailles „verlorenen“ Gebiete und Kolonien Deutschlands zurücksehnten.

Auch Neuenhagen spürte diese Spannungen. Der damalige Landrat Schlemminger, SPD, hatte für die Feier der Denkmalsenthüllung zwar geschlossene Aufmärsche verboten, trotzdem wollte eine Gruppe des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ aus Neuenhagen, der fast ausschliesslich Arbeiter angehörten, anlässlich der Denkmalsenthüllung für Republik und Demokratie demonstrieren.

Der „Reichsbanner“ gründete sich auf Initiative der SPD am 22. Februar 1924 in Magdeburg als Reaktion auf republikfeindliche Gewalttaten und Aufstandsversuche.

Die republikfeindlichen Organisationen hatten offiziell zum Boykott der Feier zur Denkmalsenthüllung aufgerufen, weil sie es nicht als Antikriegsdenkmal betrachteten, aber die Kriegervereine und nationalistische Organisationen der ganzen Umgebung versammelten sich trotzdem in der Nähe des „Wilhelmplatzes“.

Eine gewalttätige Konfrontation erschien unvermeidlich. Aber die Polizisten, grösstenteils selbst Sozialdemokraten, drängten die Kriegervereine mit Gewalt zurück, das Reichsbanner marschierte mit wehenden Fahnen auf den Platz und die Denkmalsenthüllung fand ohne Störung statt.

Und das konnte erreicht werden durch das gemeinsame Auftreten von SPD, KPD und der Bürgerlichen Wählergemeinschaft!

Das Denkmal überlebte die Weimarer Republik.

Während der Zeit des Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg wurde der Platz immer wieder Schauplatz faschistischer Aufmärsche und Demonstrationen. Noch in den letzten Stunden des Krieges ließen die Naziführer den Volksturm, Halbwüchsige, Kriegsbeschädigte und alte Männer, auf dem „Platz der SA“ antreten. Sie sollten ihr Leben opfern und in den schon lange verlorenen Krieg ziehen.

Am 1. Mai 1949 demonstrierten die Neuenhagener auf dem „Platz der Republik“ für Frieden und gegen Krieg. Den Demonstranten sah man noch an, dass der fürchterliche Zweite Weltkrieg erst vor wenigen Jahren beendet worden war. Ausgemergelte Gesichter, viele in Anzügen, die aus alten Wehrmachtsuniformen geschneidert waren, Männer denen ein Arm fehlte oder denen eine Krücke ein fehlendes Bein ersetzte.

Auf den Transparenten stand: „Nie wieder Krieg“!

Nun ist der Platz wieder im Kapitalismus angekommen.

Von denen, die das Denkmal als Erinnerung und Mahnung gegen den Krieg errichtet haben, lebt niemand mehr. Für deren Kinder und Kindeskinder ist das Denkmal inzwischen ein grauer Stein am Ende einer grünen Wiese geworden, Kulisse für Bockwurstzauber und Musikclowns.

Eine Arbeitsgruppe, gebildet durch die Gemeindeverwaltung 1993, hatte sich das hehre Ziel gesetzt, dieses und andere historische Baudenkmäler Neuenhagens vor Vandalismus und Zerfall zu bewahren.

Doch der Amtsschimmel sorgte für die Beerdigung der AG, da deren Ziele in den Aufgaben von Kultur-, Bau- und Umweltausschuss bestens bearbeitet würden.

Eine angekündigte Konzeption für die gesamte Grünanlage einschliesslich des Denkmals ist bis heute eine Ankündigung geblieben.

Die im Denkmal eingravierten 108 Namen der gefallenen Neuenhagener sind leider durch weissen Latexüberzug unlesbar gemacht worden, das Vergessen scheint komplett zu sein.

Könnten die jüngsten Zerstörungen am Denkmal nunmehr Anlass und Verpflichtung für alle politischen Parteien sein, über die weitere Nutzung des Grünplatzes nicht nur als Oktoberjahrmarkt konkret nachzudenken?

Paul Lucht meinte dazu 2009:
“Ich kann mir vorstellen, dass man diese Stätte würdiger gestalten und nutzen könnte. Das soll nicht heissen, dass in der Anlage nicht auch weiterhin Veranstaltungen stattfinden sollen. Profan finde ich es aber, dass man die Inschriften an der Wand des Ehrenmals einfach mit Farbe überstrichen und unkenntlich gemacht hat. Ähnlich wie am Bollensdorfer Dreieck, wo die Inschrift auf der ehemaligen Lenin-Gedenkstätte brutal aus dem Granitstein herausgeschlagen wurde. Über diese Dinge könnte wir wohl alle einmal nachdenken!“

Das Reden über Aktionen gegen Rechts, das Diskutieren über die Bildung der Jugend könnte in sichtbare und nachhaltige Aktivitäten der politischen Parteien und der Gemeindeverwaltung münden, um dieses tatsächliche „Antikriegs-Denkmal“ in Neuenhagen zu erhalten und zu würdigen.


Quellen:

Verwaltungsbericht Neuenhagen 1924,
E.A.Bischof, Artikel „Eine Abfuhr für Chauvinisten“, 1978,
redaktioneller Beitrag, MOZ, 1996,
Dr. Erich Siek, „Würdige Denkmale trotz rechtem Widerstand“ MOZ, 11/1997
Paul Lucht, „Der Platz der Republik“, Lebenszeit Nr. 10/2004
Paul Lucht, „Gedanken zum Platz der Republik“, Zuschrift zur Internetpublikation 2009


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