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Angebot und Nachfrage

Seit Eintritt der Schröderdämmerung halten es die meisten etablierten Parteien für nötig, ihre sozialkritische Leuchtkraft ein wenig zu verstärken. Müntefering meinte:
„Die Behauptung, das Schleifen von Arbeitnehmerrechten sei der letzte Kick, den unsere Wirtschaft noch benötige, um wettbewerbsfähig zu sein, ist ein Hohn auf die Idee von Demokratie…“
Man könnte das fortführen. – Aber was wird daraus gefolgert? An praktischen politischen Vorschlägen so gut wie nichts. Es bleibt die Agenda 2010 nun mit und ohne Kick…

Auf dem Parteitag der Grünen fand Joseph Fischer lobenswerte Worte über Gerechtigkeit und eine solidarische Gesellschaft, im Wahlprogramm definiert man sich (etwas geziert) auch als links. Greifbare soziale Substanz ansonsten kaum!
CDU und CSU brachten ihr Wahlprogramm in die Form eines Kontrastprogramms. Unter dem Stichwort Ehrlichkeit werden meist Maßnahmen gefordert, die zur weiteren Verminderung der Masseneinkommen führen. Am wichtigsten ist hier der Vorschlag zur Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dagegen ist allerdings sogar die FDP.
In einer Frage sind sich alle einig: Das schwierigste Problem, das dringend Abhilfe verlangt, ist die langandauernde Massenarbeitslosigkeit. Der Weg dazu wird sehr kontrovers diskutiert. Absolut vorherrschend und typisch für die bisher genannten Parteien ist heute die These, dass die Unternehmen deshalb so wenig Arbeit (eigentlich: Arbeitskraft!) kaufen, weil deren Angebot zu teuer ist. Lohn- und Lohnnebenkosten seien zu hoch. Verbilligung des Angebots würde die Produktion verbilligen und damit steigen lassen. Durch eine solche Angebotspolitik kämen auch die Märkte wieder in Schwung.
Kritiker dieser Richtung verweisen darauf, dass auch die stärkste Kostensenkung nicht zu mehr Produktion führt, wenn für diese keine kaufkräftige Nachfrage besteht. Letztere wird durch Lohnsenkung und Verminderung anderer Masseneinkommen jedoch geschmälert. Sie fordern deshalb eine Nachfragepolitik, d. h. die Erhöhung der Massenkaufkraft vor allem durch Umverteilung über den Staatshaushalt. Das deshalb, weil Masseneinkommen viel schneller ausgegeben werden als diejenigen der „Besserverdienenden“. Hier treffen sich konjunktur- und sozialpolitische Anforderungen.
Die Nachfragepolitik hatte in der Bundesrepublik durchaus Erfolge. Es gelang dadurch z. B. mit der ersten Nachkriegskrise von 1966 ziemlich schnell fertig zu werden (auch die CDU war in der damaligen großen Koalition dafür). Die SPD verdankte ihren Wahlerfolg von 1968 wesentlich ihrer damals vorherrschenden nachfragepolitischen Forderungen. Seit über 10 Jahren wird dagegen erfolglos vorwiegend Angebotspolitik betrieben.
Parteipolitisch betrachtet sind WASG und PDS derzeit die einzigen Vertreter konsequenter Nachfragepolitik, was sich zeigt, wenn man ihre aktuellen Forderungen, die gleich oder ähnlich sind, auflistet. Ein Zusammengehen wäre möglich und unabdingbar, denn wirksame Nachfragepolitik wird auf scharfen Widerstand des Großkapitals stoßen.
Sie ist aber kein Heilmittel. Durch sie kann Arbeitslosigkeit reduziert werden, soweit sie konjunkturell bedingt ist. Heute hat sie jedoch überwiegend strukturelle Ursachen, vor allem die Automatisierung. Hier sind erhebliche politische und wissenschaftlich-theoretische Aktivitäten erforderlich, und besonders von der neuen Linkspartei wird man viel erwarten.
Beitrag für Heft 8-05 „Im Gespräch"

Prof. Dr. Hans-Joachim Braun