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Ehre wem Ehre gebührt

Wer kannte ihn nicht in Neuenhagen, unseren Ehrenbürger Doktor Rocholl, den Arzt aus Leidenschaft und Berufung, der 1943 die mörderische Kesselschlacht von Stalingrad überlebte und nach seiner Rückkehr 1954 aus Kriegsgefangenschaft und Straflager in der Sowjetunion viele Jahre als Kreisarzt und Tuberkulosearzt in Stausberg und Neuenhagen wirkte. Vielen Neuenhagenern ist er durch seine vielseitige und engagierte Beteiligung am gesellschaftlichen Leben unserer Gemeinde und durch seine stets zupackende und humorvolle Einmischung in die Probleme Neuenhagens unvergessen.

Am 23. Februar 2008 wäre er 100 Jahre alt geworden und hätte uns aus diesem Anlass wieder viel Spannendes und Nachdenkenswertes aus seinem Leben zu erzählen gehabt, wie er das in seinem letzten Lebensjahrzehnt in fast 20 selbst verfassten und hergestellten kleinen Broschüren über Ereignisse, Erfahrungen und Gedanken aus seinem Leben kritisch, humorvoll, lebenszugewandt und manchmal auch derb oder hintergründig-ironisch mitgeteilt hat.

Im Jahre 1908 in Kassel als Sohn eines gutsituierten Rechtsanwalts in einer traditionsbewussten bürgerlichen Familie geboren, studierte er in München, Kiel und Marburg Medizin und arbeitete anschließend als Landarzt im kleinen hessischen Städtchen Waldkappel. Er machte nie ein Hehl daraus, dass er sich damals dem Nationalsozialismus verbunden fühlte und sich im zweiten Weltkrieg als Truppenarzt freiwillig an die Front gemeldet hatte. Anfang Februar 1943 geriet er in Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft und das war für ihn, wie er selbst sagte, der Beginn seines zweiten Lebens. Sein großes Nach- und Umdenken begann auf dem langen und schwierigen Weg durch sowjetische Gefangenenlager und Gefängnishospitale, immer bedrückt durch Hunger und Krankheit, durch Mutlosigkeit und Zweifel.
Aber er hielt durch und wurde zu einem überzeugten Gegner des faschistischen Eroberungskrieges.
Er bekannte sich zur Mitverantwortung für die von Deutschen verübten Grausamkeiten des Krieges und gewann die Einsicht, dass es nötig war, für ein neues Deutschland zu arbeiten, das für ihn nach dem Krieg nur ein friedliches und demokratisches Land der sozialen Gerechtigkeit sein konnte. Folgerichtig war er auf antifaschistischen Schulungslehrgängen in Krasnogorsk aktives Mitglied des „Bundes deutscher Offiziere“ geworden, der eng mit dem Nationalkomitee „Freies Deutschland“ zusammen arbeitete.
Am 31.12.1953 kam er nach fast elfjähriger Kriegsgefangenschaft in die junge DDR. Er blieb in diesem Staat und holte seine Familie aus Kassel hierher, weil er hier den Versuch machen wollte, ein neues anderes Deutschland zu gestalten.
Seine Erfahrungen als Tuberkulosearzt in der Kriegsgefangenschaft konnte er im Krankenhaus Strausberg anwenden. Im Kreis Strausberg arbeitete er dann von 1956 bis 1965 als Kreisarzt und Leiter der TBC-Beratungsstelle. Noch bis zu seinem 80. Lebensjahr war er in der Tuberkuloseberatung in Neuenhagen tätig. Weit über seine umfangreichen medizinischen Fachkenntnisse hinaus war er immer ein Freund und Helfer seiner Patienten und ihr Berater und Gesprächspartner in vielen persönlichen Fragen.
Seine Lebenserfahrungen, sein klares logisches Denken und sein von kritischem und zielgerichtetem Handeln bestimmter Charakter ließen ihn mit großem Elan am gesellschaftlichen Leben in dem von ihm gewählten Lande teilnehmen, besonders über 45 Jahre lang in seinem Heimat- und Wohnort Neuenhagen.
Man kann unmöglich alle seine Aktivitäten aufzählen, seine vielen Publikationen und Zeitungsartikel, seine Vortragstätigkeit in vielen hundert Veranstaltungen zu politischen, kulturellen, medizinischen, weltanschaulichen Problemen, aber auch zu unmittelbar praktischen Fragen wie denen des Straßenbaus oder der Jaucheabfuhr in Neuenhagen. Wenn er es im Interesse der Bürger für notwendig hielt, etwas zu verändern, dann sagte er offen und direkt seine Meinung, manchmal zum Schrecken der Verantwortlichen.
Noch in hohem Alter war er ständig mit dem Fotoapparat unterwegs und hielt das Leben vieler einfacher Menschen in bewegenden Bildern fest. Viel Zustimmung und Anerkennung fand seine Tätigkeit im Bürgerverein Bollensdorf, und seine witzigen und bissigen Büttenreden im Neuenhagener Karnevalsverein waren stets ein Erlebnis.
Von vielen Neuenhagenern wurde Doktor Horst Rocholl hochgeschätzt.
Er wird allen als warmherziger und humorvoller Menschenfreund und als kritischer und manchmal sarkastischer Einmischer in all die öffentlichen Angelegenheiten, die er für eine bessere und gerechtere Welt für wichtig hielt, in Erinnerung bleiben. Er war Zeitzeuge eines Jahrhunderts der großen Wenden und hat sich selbst nie gewendet aber stets verändert.

Dr. Erich Siek